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Das Haus der Sonnen

Das Haus der Sonnen

Titel: Das Haus der Sonnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alastair Reynolds , Norbert Stöbe
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nachprüfbare Informationen liefern.«
    »Ich habe Ihnen nichts zu sagen«, erwiderte er. Seiner Stimme war bizarrerweise nicht anzumerken, dass sie nur von der einen Hälfte des Mannes hervorgebracht wurde.
    Mezereum nickte, als hätte sie diese Antwort erwartet. »Ich wäre enttäuscht gewesen, wenn wir das Ganze hätten abbrechen müssen.«
    Zwei weitere Glasscheiben senkten sich aus der kreisenden Gruppe herab und verharrten über den beiden Hälften des Mannes in der Schwebe, parallel zu den ersten beiden Scheiben.
    Mezereum tranchierte den Gefangenen erneut. Dann machte sie in geometrischer Progression weiter.
    Als ich mich anschickte, mich zu entfernen, nahm ich an, ich sei einer der Ersten, stellte jedoch fest, dass Portula bereits gegangen war.
     
    Als feststand, dass wir Mieres sterblichen Überresten keine weiteren Informationen würden entnehmen können, wurde ihr Leichnam auf einer Schwebeplattform ins Freie gebracht. Die Plattform war geneigt, damit jeder sah, dass sie eines gewaltsamen Todes gestorben war. Miere befand sich noch im selben Zustand wie zuvor, allerdings hatte man ihre Gliedmaßen wieder gerichtet. Unter dem durchscheinenden Tuch sah man die an ihren Seiten ruhenden Arme, die wieder eingerenkten Beine. Die Knochen hatte man unter die Haut geschoben, das Blut von den Wunden abgewaschen, und obwohl von ihrem Gesicht nicht mehr viel übrig war, erweckte die Neigung ihres Kopfes den Anschein, als blicke sie erwartungsvoll zum Abendhimmel auf. Vier Splitterlinge begleiteten die Plattform, bis sie über einem tischgroßen Steinblock zum Halten kam und sich langsam darauf absenkte. Wir bildeten einen Kreis und hielten Fackeln in der Hand. Dann traten wir langsam vor, bis wir alle um Miere versammelt waren. Es waren nur fünfzig von uns anwesend und nicht einundfünfzig, denn wie immer war ein Splitterling – diesmal hatte es Medicago getroffen – auf Patrouille. Doch es gab einundfünfzig Fackeln, eine Flamme für jeden Überlebenden, und die überzählige Fackel wurde stellvertretend für den nicht anwesenden Splitterling von Hand zu Hand weitergereicht.
    Die übrigen Trauergäste – die Splitterlinge anderer Familien, unsere Gäste sowie die Vertreter Ymirs und der anderen Städte von Neume – standen in respektvollem Abstand auf einem kreisförmigen Podest. Alle trugen Trauerkleidung. Auch unsere Kleidung entsprach dem Anlass – wir waren schwarz gekleidet, unser einziger Schmuck waren ein paar gestickte schwarze Blumen. Portula hatte sich das Haar zurückgekämmt und es mit einer schlichten schwarzen Spange befestigt. Sie trug weder Make-up noch Schmuck; das galt auch für die anderen. Es war kühl, doch wir hatten der Kleidung untersagt, uns zu wärmen oder die Last der Fackeln abzunehmen. Ich hatte das Gefühl, die meine werde immer schwerer, je weiter sie herunterbrannte.
    Es erstaunt mich nicht, dass Betonie die Trauerrede hielt, doch ausnahmsweise nahm ich es ihm diesmal nicht übel, dass er sich in den Vordergrund drängte. Ich hatte Miere so gut gekannt wie alle anderen, auch wenn ich nicht ihrem engsten Freundeskreis angehört hatte. Ihre engsten Freunde waren bei dem Angriff ums Leben gekommen – ich war allenfalls ein guter Bekannter für sie gewesen. Allerdings fühlte ich mich ihr verpflichtet, denn einige ihrer Charakterzüge hatte ich besser verstanden als jeder andere, wollte Portula aber nicht dadurch verletzten, dass ich mich über die Gefühle ausließ, die ich Miere entgegengebracht hatte. Außer einer unbestimmten Möglichkeit hatte es weiter nichts zwischen uns gegeben, und jetzt hatte es auch damit ein Ende. Außerdem kannte ich mich mit der Familientradition nicht so gut aus, wie man eigentlich hätte meinen sollen. Wie wir den Robots erklärt hatten, waren Totenfeiern bei uns außergewöhnlich selten – meistens gab es keinen Leichnam, und häufig lagen nicht einmal schlüssige Beweise vor, dass der fragliche Splitterling tatsächlich ums Leben gekommen war.
    Betonie hielt seine Rede kurz. Er sagte, obwohl Mieres Tod einen langen Schatten auf die Überreste der Familie werfe und die Todesumstände noch untersucht würden, gäbe es keinen Grund, das Leben, das hinter ihr läge, nicht zu feiern. Sie habe herrliche Dinge gesehen und getan; sie sei mit zahllosen Lebensläufen in Berührung gekommen; sie habe den Erinnerungsfaden über sechs Millionen Jahre fortgeführt; man habe sie geliebt, bewundert und beneidet. Er erwähnte etwa ein Dutzend bedeutsame

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