Das Haus der Tänzerin
ganze Stadt wird in Flammen stehen.«
Delilah reckte den Hals, um die Türme zu sehen. »Schaut, da oben sind Leute – wir sollten später auch da hoch.« Sie warf einen kurzen Blick nach hinten zu Emma und verzog das Gesicht. »Ach, das geht natürlich nicht. Ich hatte nicht an deine Höhenangst gedacht, Emma.«
Emma verschränkte die Arme. »Lasst euch durch mich nicht aufhalten.«
»Ihr solltet aufpassen«, sagte Luca. »Die Turmwächter sperren ständig Besucher ein, weil sie nach Hause wollen. Neulich hat es eine Ewigkeit gedauert, bis der Verantwortliche mit dem Schlüssel aufgetrieben wurde.« Er sah auf die Uhr und wandte sich an Delilah. »Interessierst du dich für Architektur? Wir haben noch ein bisschen Zeit vor dem Stierkampf. Ich zeige dir die neue Stadt der Künste und der Wissenschaften.«
Luca fuhr über die Calatrava-Brücke hinüber. Emma betrachtete die weißen Rippen, die sich vor dem kobaltblauen Himmel wölbten. Sie erinnerten sie an ausgebleichte Knochen. Sie dachte an Vicentes gebrochene Knochen, die unter dem Kalk verstreut lagen. »Es muss während des Krieges gewesen sein«, hatte der Polizist gesagt. »Es gab so viele Gräueltaten damals … dieser Mann ist zerstückelt worden.« Emma lehnte den Kopf ans Fenster. Wenigstens waren seine Überreste nun sicher im Familiengrab der del Valles beigesetzt. Sie war nicht abergläubisch, aber sie hatte definitiv gespürt, wie sich die Atmosphäre in dem Haus änderte. Emma war so in Gedanken versunken, dass sie überrascht aufblickte, als das Auto nach der Rundfahrt durch die Stadt in der Nähe der Stierkampfarena anhielt. Luca kam um das Auto herum und öffnete ihr die Tür.
»Danke«, sagte Emma.
»Du bist so still. Macht es dir Spaß?«
»Es ist sehr unterhaltsam.« Emma verschränkte die Arme. »Wie du mit Delilah flirtest.«
»Flirten? Ich war nur nett zu deiner Freundin, das ist alles.«
»Sehr nett.«
»Jetzt bist du aber wirklichkeitsfremd.«
»Wirklichkeitsfremd?« Emma konnte sich nicht mehr zurückhalten. »Ich bin immer rational, Luca. Die gute, alte rationale Emma. Findest du nicht, du hast mich langsam genug bestraft?«
»Was ist denn heute los mit dir?«
»Nichts. Ich habe es dir doch gesagt, ich bin einfach nur müde.«
»Willst du nach Hause?«
»Ja.«
»Wir fahren doch jetzt nicht, oder?« Delilah kam zu ihnen. »Komm schon, Emma, sei nicht so langweilig!«
Emma biss sich auf die Innenseite ihrer Wange. Die Aussicht, noch mehr Zeit mit Delilah zu verbringen, lockte sie nicht. Sie sah auf die Uhr. »Geht ihr zwei nur. Ich sollte zurück zu Joseph.«
»Bist du sicher?«, fragte Luca.
Sie ging rückwärts weg von den beiden. »Viel Spaß. Ich nehme mir ein Taxi und sehe euch zu Hause.« Als sie sich umdrehte, entging ihr Delilahs triumphierender Blick nicht.
In der Plaza de Toros hing eine glühende, blaue Himmelsscheibe über dem zerstampften ockerfarbenen Boden.
»Die Plätze sind hoffentlich in Ordnung?« Luca ließ Delilah den Vortritt.
»Sie sind sicher bestens.«
»Ich mag die Sonne. Wenn man Karten für die corrida kauft, dann entscheidet man sich für sol oder sombra . Sonne oder Schatten.«
»Faszinierend.« Delilah blickte sich in der Arena um. »Gefällt das Em?«
»Ich weiß es nicht. Wir waren nie hier.«
»Ich bezweifle es. Mein Gott, sie kann wirklich launisch sein.« Delilah zog einen roten Lippenstift aus ihrer Handtasche und spitzte die Lippen. »So, jetzt erkläre mir doch, was da passiert.«
»Die Matadore gehen zur capilla …«
»Zur was?«
»Zur Kapelle. Bevor sie kämpfen, bitten sie die Heilige Jungfrau um Schutz.« Die Zuschauer jubelten. »Das ist der paseillo – die Parade.«
Delilah gähnte. Die Hitze machte sie wohlig träge. »Wer sitzt dort oben?«
»Das ist die Loge für den Präsidenten oder die wichtigste Person hier. Heute ist das der Bürgermeister, und bei ihm sitzen ein Tierarzt und ein künstlerischer Berater.«
»Kunst?« Sie schnaubte. »Stiere abschlachten gilt als Kunst?«
»Ja, das ist es.«
»Komm schon, das ist ein ulkiger kleiner Mann in einem glänzenden Anzug …«
»Das ist die Tracht des Lichts, aus kräftiger Seide, wie eine Rüstung.«
»… und er bringt einen großen Stier in Rage.«
»Wenn du die Körper der Matadore ansiehst, dann hat das gar nichts Ulkiges. Sie sind alle von Narben übersät.« Er verschränkte die Arme. »Du verstehst das nicht. Wir identifizieren uns mit dem Stier und dem Matador. Es ist die Intensität der Beziehung
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