Das Haus der Tänzerin
direkt hinter dir.« Er küsste sie schnell. »Wenn er dich erwischt, dann muss er erst durch mich durch.«
Keuchend robbte Freya durch das Gras, Steine und trockene Erde schürften ihre Ellbogen und Knie auf. Über ihr tanzten die dunklen Grashalme vor dem Sonnenuntergang. Nach einer Ewigkeit, wie es ihr vorkam, ragte die Mauer vor ihr auf, und sie kroch schnell um die Ecke, lehnte sich mit dem Rücken an die warmen Steine und atmete tief durch. Tom war gleich hinter ihr, seine Stiefel gruben sich in Erde und Kieselsteine, als er sich zu ihr setzte. Sie sahen einander an und brachen in Lachen aus. Tom griff in seine Tasche und schüttelte zwei Zigaretten aus einer zerknüllten Packung. Er zündete sie an und reichte ihr eine.
»Gemeinsame Kinobesuche sind im Vergleich dazu recht langweilig«, sagte er lachend.
Freya blies einen Rauchkringel aus und lächelte. »Das muss man erst mal übertreffen.«
»Trotzdem«, sagte Tom und wischte ihr mit dem Daumen etwas Erde von der Wange. »Jedenfalls haben wir etwas, das wir den Enkelkindern erzählen können.«
Freya spürte, wie sich der Raum zwischen ihnen zusammenzog, und schwankte. »Oder vielleicht auch nicht«, sagte sie ruhig. Der Augenblick, die Möglichkeit war da. »Ich will dich«, flüsterte sie, und ihre Lippen streiften über seine Wange, seinen Hals wie langsam schlagende Flügel eines Schmetterlings. Er streckte den Arm aus, löschte die Zigarette und zog sie in seine Arme. Rücklings fielen sie ineinander verschlungen in das wogende Gras.
Freya blickte in den Himmel hinauf, nacheinander erstrahlten winzige Sterne. »Wäre das schön, wenn wir für immer so bleiben könnten«, murmelte sie. Tom hob den Kopf von ihrem Bauch, küsste ihre Brust. Er drehte sich auf den Rücken und nahm Freya in die Arme. Sie spürte die Wärme seiner Brust an der Wange, hörte seinen gleichmäßigen Herzschlag.
»Wir sollten vorsichtig sein«, sagte er.
»Ich glaube nicht, dass jemand weiß, dass wir zusammen sind.«
»Das meine ich nicht. Es ist mir völlig egal, wer das weiß. Ich meinte, dass ich für dich sorgen will.« Er strich ihr das Haar aus der Stirn. »Vielleicht wollen wir ein bisschen Zeit allein für uns, bevor …«
»Oh! Du meinst …« Freya errötete. »Ich würde mir da keine Sorgen machen. Ich hatte keine … Ich meine, meine …«
»Also, für eine Krankenschwester kannst du unglaublich prüde sein«, sagte er lachend.
Freya stieß ihn in die Rippen. »Es hat jedenfalls aufgehört. Ich hatte seit Monaten keine mehr, deshalb ist es eher unwahrscheinlich, dass ich schwanger werden würde. Und wenn …«
»Das wäre wunderbar«, sagte er und umschlang sie fest. »Bleib bei mir heute Nacht«, sagte er. »Liebst du mich, Freya? Könntest du das?«
»Natürlich.« Sie setzte sich auf und sah ihn lächelnd an. »Natürlich liebe ich dich, Tom.«
Er griff zu ihr hoch. »Werde meine Frau.«
Sie küsste ihn auf die Handfläche. »Du bist verrückt. Du kennst mich kaum.«
»Ich kenne dich«. Er hielt ihrem Blick stand. »Noch nie in meinem ganzen Leben war ich mir einer Sache so sicher. Werde meine Frau, Freya.«
16
Madrid, September 2001
Emma rannte am Bahnsteig entlang und winkte dem Schaffner. Gerade als sich die letzten Türen schlossen, sprang sie in den voll besetzten Zug. Als sie im Speisewagen einen Platz gefunden hatte, ruckelte der Wagen, und sie fuhren aus dem Bahnhof Atocha hinaus. Die Sonne blendete Emma, während sie über die Schienen rollten. Ein Geschäftsmann, der ihr gegenübersaß, half ihr, ihren Koffer auf die Ablage zu heben, und Emma machte es sich für die Fahrt nach Valencia bequem. Sie zog das Rollo ein wenig herunter und schloss die Augen. Den Vormittag hatte sie in diversen Madrider Museen verbracht, und sie hatte Picassos Guernica im Kopf, als sie einschlief.
Der Duft der in der Zugküche zubereiteten Speisen stieg ihr in die Nase – sie roch Knoblauch und Zwiebeln, den vollen, etwas dumpfen Geruch von Safran. In Spanien hatte Emma das Gefühl, sie würde aus dem Winterschlaf erwachen. Am Abend zuvor war sie kilometerweit gelaufen, hatte die Straßen der Stadt erkundet, in Straßencafés Tapas gegessen und den eleganten Stadtbewohnern bei ihrem abendlichen paseo zugesehen. Die Gerüche der Stadt betörten sie – schwarzer Tabak, dampfender Kaffee, Abwasser, frische Tomaten in der Pfanne – durch jeden einzelnen Duft wurden ihre Sinne wiederbelebt. Vor der Tür einer alten perfumería war sie stehen geblieben,
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