Das Haus der Tänzerin
Arzt«, sagte Freya und blinzelte die Tränen zurück, während sie ihn umarmte. Sie wollte nicht, dass er sie weinen sah.
»Warte auf mich. Lass dein Herz nicht von irgendeinem anderen Kerl erobern. Versprichst du mir das?«
Er löste sich aus der Umarmung und ging rückwärts von ihr weg zur Tür. Ihre Lippen zitterten, während sie lächelte. »Ich verspreche es.«
»Ich werde dich nicht noch einmal bitten, mit mir zu kommen, obwohl du weißt, wie sehr ich mir das wünsche.« Er setzte seine Kappe auf, zog sie ein wenig schief. »Ich sage nicht adieu …«
»Tom, warte!« Freya setzte sich im Bett auf. »Ich …« Ihre Kehle war wie zugeschnürt. Das war ihr Moment. Jetzt konnte sie mit ihm gehen, rasch zum Bahnhof laufen, mit dem Schiff nach Kanada fahren. Sie konnte weglaufen, ohne einen Blick zurückzuwerfen. Ich werde hier gebraucht, dachte sie. Ich kann es nicht. »Ich liebe dich. Ich warte auf dich, egal, wie lange.«
Er sah sie ein letztes Mal an. »Gott, bist du schön«, sagte er lächelnd und schüttelte den Kopf.
Die Tür fiel zu, und Freya war allein. Sie betrachtete sich im Spiegel der Kommode, ausgestreckt im Bett, ein weißes Laken über der Rundung ihrer Hüfte, ihre blonden Haare zerzaust auf dem Kissen. Sie berührte ihre Lippen, geschwollen von ihren Küssen. Schön, dachte sie. So hatte sie sich durch ihn gefühlt. Schön.
26
Valencia, Dezember 2001
Emma saß auf ihrem neuen Bett, gestützt von dicken Gänsedaunenkissen. Leere Kartons und Einkaufstüten von El Corte Inglés waren auf dem Boden verstreut. Sie schloss die Augen, seufzte und breitete die Arme aus. Selbst bei geschlossener Tür hörte sie die Handwerker arbeiten, das Kreischen der Säge, und spürte das Beben der Wände, während Borys die neuen Leitungen verlegte. Über ihr hing ein Kabel von der Decke, das auf eine Glühbirnenfassung wartete. Im Kamin ihres frisch gestrichenen weißen Zimmers flackerte ein Feuer.
Sie wählte Freyas Nummer und wartete darauf, dass sie sich meldete. Emma warf einen Blick auf die Katze, die auf einem von der Sonne gewärmten Fleck auf dem Fensterbrett saß. Sie begutachtete die frischen roten Kratzer an ihrem Handgelenk. »Viel zutraulicher wirst du nicht, oder?«, sagte sie zu der Katze. »Du kommst schon noch.« Das Licht draußen war klar und winterlich. Emma hatte am Vormittag Orangen mit Nelken gespickt und sie mit roten Ginganschleifen an die kleine Kiefer gebunden, die Marek vom Markt mitgebracht hatte. Sie hatte eigentlich nicht vorgehabt, das Haus zu schmücken – der Gedanke an ihr erstes Weihnachten ohne Liberty und Joe brach ihr das Herz, aber als sie sah, wie stolz Marek und Borys ihr den Baum in der Ecke der Küche zeigten, gab sie nach. Ihre Finger, mit denen sie das Handy hielt, dufteten nach Gewürzen.
Emma schürzte die Lippen. Freya meldete sich nicht. Sie wollte mir ihr über Libertys Mutmaßungen sprechen und sie auch nach Macu und Rosa fragen. Sie hatte es schon mehrfach versucht, aber Freya gelang es immer, das Thema zu wechseln. Außerdem hatte sie das Bedürfnis, von Luca zu erzählen. Nicht, dass Freya der beste Ansprechpartner für Herzensangelegenheiten wäre , dachte sie. Ob sie wohl jemals jemanden geliebt hat? Ihre Gedanken schweiften ab, als sich der Anrufbeantworter einschaltete.
»Hallo, Gammy, Em hier. Nichts Besonderes, ich wollte mich nur mal melden. Liebe Grüße an dich und Charles. Wir sprechen uns bald.«
Emma ließ sich auf das Bett zurücksinken. Zum ersten Mal fiel ihr auf, dass sie wegen ihres runden Bauchs ihre Zehen nicht mehr sah, die in ihren dicken Wollsocken steckten. Nun zählte sie nur noch die Wochen bis zur Geburt, nicht mehr die Monate. Sie hätte ihre Mutter gerne bei sich gehabt, die ihr perfekte Ratschläge hätte geben können. Das war immer so gewesen. Sie stellte sich vor, wie Liberty am Ende des Bettes saß und losplapperte, voller Ideen und Pläne.
In der letzten Zeit war sie aber nicht mehr so , dachte Emma. Sie erinnerte sich daran, als sie ihre Mutter zum letzten Mal lebend gesehen hatte. Joe hatte Liberty nach dem Osteressen in ihr Zimmer getragen. Sie lag in seinen Armen wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln. Damals war sie kaum wiederzuerkennen, die Wangen eingefallen, die Haare ausgefallen. Und doch blieb sie bis zum Ende Liberty und bestand darauf, bei den Feiern dabei zu sein. Weihnachten mochte sie immer gerne, dachte Emma. Freya hatte Liberty geholfen, einen kobaltblauen Tuaregschal zu einem Turban zu binden,
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