Das Haus der Tänzerin
und ihr scharlachroten Lippenstift auf die bleichen Lippen aufgetragen. Während alle mit gezwungener Fröhlichkeit aßen und tranken, hatte Emma einen Blick auf ihre Mutter geworfen, die am anderen Ende auf Kissen gebettet zwischen Charles und Freya saß und sie anlächelte, ohne essen oder trinken zu können. Sie schien vor ihren Augen zu verkümmern. Emma sah, wie Freya Joe zunickte, als Liberty die Augen schloss. Er nahm sie auf die Arme.
Er hatte sie ins Bett gelegt, sie ein letztes Mal auf die Stirn geküsst und war aus dem Zimmer gegangen, ohne sie ansehen zu können. Tränen standen ihm in den Augen. Emma wusch ihrer Mutter Gesicht und Hände, während ihr die Schwester unter Freyas wachsamem Blick Morphin verabreichte. Ihnen war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde. Charles kam ins Zimmer geschlurft und setzte sich eine Weile zu ihr, hielt ihr die Hand, sprach leise mit ihr, erzählte ihr die Geschichten, die er ihr erzählt hatte, als sie ein Kind war, sang ihr die alten Lieder vor.
Freya und Emma legten sich in dieser Nacht neben sie. Sie hielten Wache und waren bei ihr, als der letzte Atemzug ihren Körper erbeben ließ. Emma kuschelte sich neben sie, Libertys Kopf lag in Freyas Armen. Freya streichelte ihr die Wange und begleitete sie in den Schlaf.
Selbst jetzt noch ertappte sich Emma manchmal bei dem Gedanken: Ich muss Mum fragen, wo sie diesen Stoff her hat …, oder sie wollte ihr irgendetwas Unwichtiges über das Haus oder das Dorf erzählen. Es fiel ihr immer noch schwer, zu glauben, dass ihre Mutter nicht mehr da war. Emma blinzelte. Ihr Blick fiel auf das schwarze Lackkästchen auf ihrem Nachttisch. Sie schaute die Umschläge durch, bis sie einen ganz bestimmten fand: »Über die Liebe«. Sie riss ihn auf.
Em, was kann ich dir schon über die Liebe erzählen? Ich bin nicht die Richtige, um dir Vorträge über die romantische Liebe zu halten, du und Joe, ihr wart mit eurer Beziehung erfolgreicher als ich je mit meiner.
Emma seufzte und las weiter.
Das mit dem Lieben hast du immer gut gekonnt, Em. Du bist der freundlichste Mensch, den ich kenne. Ich möchte dich aber bitten, dass du dich lieben lässt. Lass die Liebe zu. Vielleicht sind Freya und ich schuld – wir haben dich zu einer starken und unabhängigen Frau gemacht. Manchmal glaube ich, Joe hat Schwierigkeiten, Schritt zu halten. Gib auch ihm das Gefühl, gebraucht zu werden. Ich hoffe, du und Joe könnt bewältigen, was auch immer da vor sich geht und wovon du mir nichts erzählst.
Emma hob die Augenbrauen.
Ja, natürlich weiß ich das. Ich bin deine Mutter. Ich weiß alles. Als du noch klein warst, konnte ich dich davon überzeugen, dass ich Augen am Hinterkopf habe. Einmal habe ich dich erwischt. Ich war eingeschlafen, und du hast vorsichtig meine Haare geteilt, um die Augen zu suchen.
Em, ich habe gelernt, dass die romantische Liebe kommt und geht. Manchmal sind die Menschen, denen du am meisten mit dem Herzen traust, diejenigen, die es am wenigsten verdient haben. Menschen sind fehlbar, sie vermasseln Dinge. Es liegt an dir, ob du damit zurechtkommst und vergibst oder ob du dich löst. Im Leben und in der Liebe geht es sowohl darum, zu entscheiden, wen du loslässt, als auch darum, wen du auf dieser Reise mitnimmst. Ich hoffe, Joe erweist sich als würdig. Lass deine Fähigkeit, zu lieben, niemals durch die Handlungen anderer einschränken. Bleib deinem Herzen treu. In letzter Zeit warst du so traurig, hast dich zurückgezogen. Vielleicht hat dir alles zu sehr wehgetan? Em, bitte gib nicht auf. Du kannst ein wunderbares Leben führen, selbst wenn diese Liebe endet. Wenn Joe nicht der Richtige ist, dann gibt es einen Mann dort draußen, der mit dir Schritt hält, auch wenn du den Weg eine Weile allein beschreiten musst.
Aber die Mutterliebe … die ist wild und grenzenlos, und sie vergibt alles. Du weißt, dass ich nie vorhatte, Kinder zu bekommen. Freya und ich hatten nie eine einfache Beziehung. Ich werde nie vergessen, was sie zu mir übers Kinderkriegen gesagt hat. Sie sagte, sie sei morgens aufgewacht, weil ich schrie, und hätte sich gefragt, wie sie das noch einen Tag durchstehen soll. Vielleicht war Freya keine geborene Mutter – manche Frauen sind das wohl einfach nicht, und sie kann es nicht leicht gehabt haben. Aber als ich herausfand, dass ich mit dir schwanger war, war ich wahnsinnig glücklich. Ich hatte natürlich auch Angst, weil wir am Ende allein waren, genau wie Freya. Ich machte mir Sorgen, ob ich
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