Das Haus der Tänzerin
schön, wenn Vicente weg ist«, murmelte sie und schloss die Augen. Sie streichelte dem Baby, das auf ihrem Bauch lag, den Rücken, sie liebte die Wärme, das Gewicht der Kleinen.
Macu lachte. »Du findest es schön? Stell dir mal vor, wie schön es für die arme Rosa ist. Keine Schläge, keine Zudringlichkeiten im Schlafzimmer.«
»Macu«, schimpfte Rosa.
»Es stimmt doch!«, sagte sie. »So bald nach dem Baby. Das ist nicht richtig …«
»Genug!« Rosa errötete. »Er ist mein Ehemann, es ist sein Recht. Ich wusste, was mich erwartet, als ich ihn geheiratet habe.«
Freya sah sie an. »Rosa?«
»Hm?« Sie unterbrach ihre Tätigkeit.
»Ich weiß, warum du Vicente geheiratet hast – es war sinnvoll, weil dein Kind dadurch Sicherheit bekommen hat. Aber warum wollte er dich heiraten?«
Rosa blickte zu der Schüssel und rührte die Mischung langsam um. »Jordi hatte etwas, das er nicht haben konnte. Jordi hat etwas, das er nie haben wird«, korrigierte sie sich. »Eines Tages …«
Ein Hämmern draußen an der Tür unterbrach sie. Die Mädchen blickten überrascht auf. »Erwartest du jemanden?«, fragte Freya.
»Nein.«
Freya legte das Baby in den Flechtkorb und ging mit dem schweren Messingkerzenhalter in den Gang. »Bleibt hier.«
»Warte.« Macu schnappte sich den Schürhaken vom Kamin. »Ich komme mit.« Als Freya die Riegel öffnete, stand Macu mit erhobenem Schürhaken bereit. »Lass die Kette dran.«
Freya öffnete die Tür einen kleinen Spalt und lugte hinaus. Es war ein Mann, vornübergebeugt. Vor dem mondhellen Himmel mit den leuchtenden Sternen sah sie nur seine Silhouette und nicht die Gesichtszüge. An dem blauen Overall erkannte sie, dass er Republikaner war. Die Zikaden zirpten laut in der warmen Nacht. »Qué pasa?«, sagte sie.
»Freya?« Die Gestalt torkelte nach vorn. »Gott sei Dank, sie haben gesagt, du wärst hier.« Als der Mann auf der Türschwelle zusammenbrach, öffnete Freya hektisch die Kette.
»Hilf mir«, sagte sie.
Macu ließ den Schürhaken scheppernd fallen und zog die Tür auf. Der Mann fiel rückwärts auf den Boden, sein schmutziges Gesicht wurde vom Mond beleuchtet. Als sie auf ihn hinabblickte, öffnete sie den Mund.
»Wer ist das?« Rosa erschien in der Tür.
»Das ist mein Bruder.« Freya kniete sich neben ihn und strich ihm die Haare aus der Stirn. »Mein Bruder Charles.«
Gemeinsam trugen sie ihn ins Bett und zogen ihm die schmutzige verlauste Uniform und die löchrigen Stiefel aus. Obwohl sie in den vergangenen Monaten Hunderte von nackten und verletzten Männern gesehen hatte, fand Freya es nicht richtig, Charles völlig entkleidet zu sehen. Sie überließ es Macu, ihn sauber zu machen, während sie mit Rosa seine Uniform im Hof verbrannte. Freya rümpfte angeekelt die Nase, als sie mit einem Orangenholzstock in dem glimmenden Stoff herumstocherte.
»Puh, ein scheußlicher Gestank. Den werde ich nie wieder los, glaube ich.«
»Blut, Schweiß und Schlimmeres. Gott sei Dank gibt es Parfum, was?« Rosa nickte verständnisvoll. »Du badest heute Abend. Ich gebe dir etwas von meinem Rosenbadeöl.«
»Ach, nein.« Freya drehte sich zu ihr. »Ich wollte damit nicht …«
»Bitte.« Rosa tätschelte ihr die Hand. »Du hast einen schweren Schock. Das hilft dir auch beim Einschlafen. Du musst stark sein für deinen Bruder. Er braucht dich jetzt.«
»Gott weiß, wo er war. Zuletzt habe ich gehört, er steckte in Madrid fest und konnte nicht zu Gerdas Beerdigung. Es sieht so aus, als wäre er einen Monat lang unterwegs gewesen. Er muss durch die Hölle gegangen sein.«
Charles lag im Kerzenlicht auf dem Bett, seine Arme und Beine waren so schlaff wie bei einem schlafenden Kind. Macu trat zögerlich mit der Emailschüssel voll dampfendem Wasser vor.
»Señor?« , sagte sie ernst. Charles rührte sich nicht. Sie stellte die Schüssel ab und rüttelte ihn sanft am Arm. »Señor?« Einen Augenblick lang dachte sie, er könnte tot sein. Sie gab die Essenzen, die sie von Rosa bekommen hatte, in das heiße Wasser und machte sich sanft daran, ihn zu waschen. Sie hatte Rosa und Freya bei der Pflege der verwundeten Soldaten im Krankenhaus geholfen, aber jetzt war sie zum ersten Mal allein mit einem Mann. Sie fing mit seinem Gesicht an, tränkte ein frisches Handtuch und wischte ihm den Schmutz von den Wangen, von den weichen rosa Lippen. Macu hielt inne. Er war so jung, beinahe noch ein Junge. Sie spülte ihm die Haare aus, stützte seinen Kopf mit der Hand. Schließlich
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