Das Haus der Tänzerin
zusammengehört.« Charles wartete schweigend, während Capa um Fassung rang. »Es tut mir leid, Charlie. Ich sollte das nicht an dir auslassen.«
»Nein. Nur zu.« Ich habe es verdient, dachte Charles. Er wünschte, Freya wäre da – sie wusste immer das Richtige zu sagen, aber er brachte keinen Ton heraus.
»Alle haben Gerda geliebt«, sagte Capa. »Aber sie hat mich gewählt. Wir wollten heiraten.«
»Ich weiß, mein Freund. Es tut mir leid.«
»Die Beerdigung war so schön. Es gab unglaublich viele Blumen.« Capa erzählte ihm alles, was in Paris passiert war, aber Charles hatte das Gefühl, schon alles zu wissen.
Er sah sich die Bilder in den Zeitungen an, die vor ihm lagen. Seit ihrem Tod hatte er sich damit gequält, jede Einzelheit zu lesen, jedes Wort der Artikel über ihr Leben und die Beerdigung. Er hatte keine Ahnung gehabt, wie sehr ihre Arbeit geschätzt worden war. Die Kommunistische Partei hatte sie zur antifaschistischen Märtyrerin erklärt, zu einer Jeanne d’Arc der Neuzeit. Zehntausende hatten am 1. August die Straßen von Paris gesäumt, als ihre Leiche zu den Klängen von Chopins Trauermarsch zum Friedhof Père Lachaise gebracht worden war. Es wäre ihr siebenundzwanzigster Geburtstag gewesen.
Charles starrte auf die Fotos, während Capa weiterredete. Auf Gerdas Kriegsaufnahmen sah er die strahlenden, hoffnungsfrohen Gesichter junger Milizsoldatinnen bei ihrer Ausbildung an den Stränden von Barcelona 1936, Bauern in Aragon bei der Heuernte, Kriegswaisen in Madrid. Das waren die Menschen, die Gerda wichtig waren, dachte er. Sie war immer großartig darin, das Menschliche in einer bestimmten Situation einzufangen. Nachdem der anfängliche Reiz, seine eigenen Berichte gedruckt zu sehen, nachgelassen hatte, hatte Charles begriffen, dass seine Arbeiten niemals die Magie der Bilder von Gerda und Capa oder die Kraft von Hemingways Worten haben würden. Er fühlte sich im Vergleich wie ein Dilettant.
»Sie war so schön«, sagte Charles ruhig, als Capa schwieg. Er hockte sich auf den Rand des Barhockers. »So schön, ihre Fotos … vielleicht hat sie zu viel von sich gegeben, zu viel riskiert …«
»Warum hat mich niemand angerufen, Herrgott noch mal? Ich wäre auf der Stelle gekommen, wenn ich gewusst hätte, dass sie vorhat, wieder nach Brunete aufzubrechen …« Capas Stimme klang erstickt, es hörte sich an, als hätte er den Kopf in den Händen vergraben. »Ich musste das lesen, kannst du dir das vorstellen? Ich saß im Wartezimmer beim Zahnarzt, Charlie. Ich habe es in der verdammten Zeitung gelesen. Ich hätte sie nie dort zurücklassen sollen, niemals. Wir wollten heiraten, weißt du das?«, wiederholte er.
»Ich weiß.« Charles dachte schuldbewusst an ihren Kuss und fragte sich, ob sie mit Capa gegangen wäre, ihren freien Geist gezähmt hätte. Er stürzte den Whisky hinunter, den ihm der Barkeeper eingeschenkt hatte, und bedeutete ihm, gleich die ganze Flasche dazulassen.
»35, da haben wir ein paar Monate auf der Île Sainte-Marguerite verbracht. Es war einfach vollkommen, Charles, die glücklichste Zeit meines Lebens.« Capa seufzte. »Du weißt, ich mache gerne Sprüche – das Glück ist ein Pokerspiel, eine Flasche Scotch und ein hübsches Mädchen. Aber sie war meine Welt. Ich habe nie einen solchen Frieden und ein solches Glück erlebt. Und werde es auch nie mehr.«
»Ich hoffe, du wirst das mit der Zeit wieder können, Bob.« Charles stand auf und nahm die Zeitungen. »Wann kommst du denn runter?«
»Das dauert noch. Ich will jetzt erst einmal allein sein. Ich fahre in die Staaten und besuche meine Familie in New York.«
»Ich verstehe.« Charles ließ den Kopf hängen. »Und dann?«
»Wer weiß. In China heizt sich alles auf. Vielleicht fahre ich eine Weile dorthin.« Capa lachte traurig. »Du musst nahe ran, um ein gutes Bild zu bekommen, Charlie.«
»Sicher.« Aber Gerda war zu nahe , dachte Charles. »Du weißt, wo du uns findest, wenn du etwas brauchst.«
»Das Einzige, was ich je brauchte, habe ich verloren«, sagte Capa. »Danke, dass du angerufen hast, Charlie.«
»Wir sehen uns irgendwo, Capa«, erwiderte Charles. »Pass auf dich auf.«
»Das gilt auch für dich. Viel Glück.«
Capa legte auf. Du hast Glück, Bob , dachte Charles. Sie hat dich geliebt. Er sah sich ein letztes Mal das Foto von Gerda in der Ce soir an. Manche von uns können von einer solchen Liebe nur träumen.
34
Valencia, Januar 2002
»Es besteht kein Grund zur Eile. Wir können
Weitere Kostenlose Bücher