Das Haus der Tänzerin
Wind blies von den Bergen herunter und trug den erdigen Geruch der Zwiebeln auf den Feldern mit sich. Ihr tat jeder Knochen weh. Sie wollte nur noch schlafen.
»Buenos!«, rief sie und drückte die Küchentür auf. Sie beugte sich vor und küsste das Baby, das im hölzernen Hochstuhl am Tisch saß, auf den Kopf.
»War viel los?«, fragte Rosa. Sie etikettierte Flaschen mit Essenzen, bernsteinfarbene Fläschchen schimmerten im Lampenlicht.
»Im Krankenhaus geht es zu wie verrückt. Ich wünschte, die spanischen Ärzte würden es uns nicht so schwer machen.«
»Sie haben ihre Art, zu arbeiten, ihr habt eure. Ich komme auch bald wieder. Jetzt, wo Loulou größer ist, kann Macu öfter auf sie aufpassen.«
»Wo ist Macu?«
Rosa hob den Blick. Als sie schwiegen, hörte Freya das unverkennbare Quietschen der Bettfedern im Stockwerk über ihnen. »Ich glaube, sie verabschieden sich gerade voneinander.«
Freya errötete. Charles hatte sich im Lauf der letzten Wochen von einer kaputten, leeren Hülle eines Mannes wieder zu seinem alten Ich zurückentwickelt. »Natürlich. Er bricht ja heute Abend wieder nach Barcelona auf.«
»Alle gehen nach Barcelona«, sagte Rosa bitter. »Erst kommt die Regierung hierher, dann fliehen sie nach Barcelona.« Sie warf einen Blick auf ihre Tochter, dachte an die Kinder, die nach Übersee geschickt wurden. »Freya, ich wollte dich fragen …«
»Ja?«
»Wenn hier irgendetwas passiert, irgendetwas Schlimmes, würdest du dann für Loulou sorgen?«
»Natürlich. Aber es wird nichts passieren.«
»Wer weiß? Der Krieg läuft nicht gut. Ich hoffe jeden Tag, dass Jordi durch die Tür kommt. Jeden Tag, aber es geschieht nicht.«
»Auch keine Nachricht von Vicente?«
Rosa schüttelte den Kopf. »Wer weiß, was er vorhat. Ich traue ihm nicht. Ich glaube, es ist ganz gut, dass dein Bruder abreist.«
»Ich bin froh, dass Charles und Macu …«
»Ein Liebespaar sind?« Rosa setzte den Stift an und deutete auf die Flaschen, die vor ihr standen. »Liebe ist die allerbeste Medizin. Macu hat nun erlebt, wie es ist, wenn es ›zündet‹, und deinem Bruder geht es wieder gut. Ich glaube, wenn er weg ist, wird sie Ignacio gerne heiraten.«
Freya verschränkte die Arme und lachte. »Du hast das alles von Anfang an geplant, oder?«
»Ich habe keine Ahnung, wovon du redest …« Rosa lächelte. »Vielleicht. Ich habe gesehen, wie traurig er ist, weil Gerda getötet wurde. Vielleicht war er ein bisschen in sie verliebt?«
»Wer weiß. Mit Macu zusammen zu sein hat ihn glücklich gemacht, und ich glaube, die Arbeit an seinem Buch hilft ihm auch.« Freya warf einen Blick auf Rosas Arbeit. »Deine Handschrift entwickelt sich übrigens gut.« Sie betrachtete die saubere, kindliche Schrift.
»Alles dank dir und deinem Bruder.« Rosa zog ein neues Notizbuch zu sich. »Schau, ich schreibe meine Rezepturen auf. Vielleicht stellt Loulou eines Tages auch Medizin her.«
Das Bettgestell rumpelte und schlug immer schneller gegen die Wand. Freya räusperte sich. »Soll ich Tee machen?«
Charles ließ sich in die Kissen zurücksinken, und Macu rollte sich in seinen Armen zusammen. »Du wirst mir fehlen«, flüsterte er in ihre Haare.
»Nimm mich mit, Carlos.«
»Das kann ich nicht. Du weißt das. Hier bist du sicherer.«
»Ich würde dir nicht zur Last fallen, versprochen. Ich kann mich um dich kümmern, ich werde kämpfen wie Rosa mit Jordi …«
Charles schloss die Augen und küsste sie. »Du hast dich um mich gekümmert, Macu. Ohne dich …« Er dachte an die Wochen, die er während seiner Genesung zusammen mit den Mädchen verbracht hatte, die letzten warmen Herbsttage. »Du hast mich wiederhergestellt.«
»Nur damit du losziehst und kämpfst, vielleicht sogar getötet wirst?« Sie umarmte ihn fester. »Das tun wir Frauen, das machen Freya und Rosa im Krankenhaus: Sie flicken die Männer wieder zusammen, nur um sie wieder an die Front zu schicken.«
»So ist das eben«, sagte Charles. Er warf einen Blick auf die Uhr. »Ich muss mich fertig machen. Das Auto ist bald hier.« Er stieg aus dem Bett und packte seine wenigen Habseligkeiten zusammen. Zögernd verharrte seine Hand über der Kamera, die seit Wochen nicht benutzt worden war. »Macu, darf ich dich fotografieren? Als Erinnerung?«
»Mich hat noch nie jemand fotografiert.« Sie lehnte sich im Bett zurück, ihre dunklen Haare schimmerten vor den blau-weißen azulejos -Kacheln. Über ihren Körper war ein weißes Laken drapiert, das jede ihrer
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