Das Haus der verlorenen Kinder
Zwischen den Scherben liegt die Sammlung von Mrs Bensons schlichtem, unauffälligem Schmuck.
Wieder wurde der Baldachin von seinen Pfosten gerissen.
Die weiß getünchte Wand ist mit rotbraunem, blutfarbenem Lippenstift beschmiert. HAUT AB HAUT AB HAUT AB.
»Ich – wann ist das denn passiert?«
»Woher soll ich das denn wissen?«, schnauzt er. Er kaut Kaugummi; er beißt so fest zu, dass die Sehnen an seinen Schläfen hervortreten. »Als wir zurückgekommen sind, hat es so ausgesehen.«
»Ich war das nicht«, sagt Yasmin.
Wann habe ich das schon einmal gehört?
»Das war ich nicht«, sagt Yasmin.
»Na, wer soll es denn sonst gewesen sein?«
Ich habe die Wahl zwischen Pest und Cholera. Der denkbaren Wahrheit ins Auge zu blicken und einen Weg zu finden, das wiedergutzumachen, oder mich vor meine Tochter zu stellen, sie vor unberechtigten Anschuldigungen zu schützen und von diesen Leuten zu Recht gehasst zu werden, und vielleicht der Kündigung entgegenzusehen: Das sind meine Alternativen.
Benson richtet seinen Blick starr auf Bridget.
»Sie?«
»Sehen Sie nicht – das ist doch absurd!«
»Na ja«, sagt er.
Mrs Benson sitzt auf der Fensterbank. Sie trägt braune Wildlederstiefel und ein beigefarbenes Wollkleid.
Sieht so aus, als hätten Sie vorläufig nichts anderes anzuziehen, schießt es Bridget boshaft durch den Kopf. Bekommt sogleich Schuldgefühle, als sie die Verzweiflung auf dem Gesicht der Frau sieht. Selbst Leute ohne jeden Schick lieben ihre Kleider. Die Farblosen leiden genauso unter wilder Zerstörungswut wie die Bunten.
»Es ist nicht zu fassen«, sagt sie. »Warum haben Sie uns das angetan? Das sind unsere Flitterwochen. Was in aller Welt haben wir getan, dass … dass wir so etwas verdienen?«
Sie hat allen Grund, wütend zu sein, selbst wenn die Anschuldigung unfair ist. Da müssen Dinge im Wert von Tausenden Pfund verstreut liegen. Das meiste davon ist ruiniert.
»Wir waren den ganzen Tag außer Haus«, stottert Bridget.
»Na, wer hätte das denn sonst machen können?«
Sie zählt: eins, zwei, drei. »Ich habe keine Ahnung. Tut mir leid, dass das passiert ist. Das ist natürlich äußerst unangenehm, aber ich war nicht hier und meine Tochter auch nicht.«
Sie spürt, dass jemand an ihrem Rock zupft. Schaut zu Yasmin hinab und zieht sie näher an sich. Hat sie das gemacht? Ist es möglich, dass sie das getan hat? Ich war den ganzen Tag jede Minute mit ihr zusammen. Da gab es nur die kurze Zeitspanne, als ich mit der Hausarbeit beschäftigt war. Sie hätte … Nein, hör auf damit, Bridget. Sie ist deine Tochter.
»Sie behaupten also, dass – dass wer das getan haben soll? Kobolde? Dass Diebe hier waren, die nichts gestohlen haben, die im Rest des Hauses nichts kaputt gemacht haben, die nur hier heraufgekommen sind, um dieses eine Zimmer zu verwüsten?«
»Ich weiß nicht.« Sie schaut sich um. Flüssige Foundation ist auf die Wände und den Bettüberwurf gespritzt und die leere, tropfende Flasche auf den Sessel geworfen worden. »Es tut mir leid, aber ich weiß es nicht. Ich werde alles in meiner Macht Stehende tun … jetzt umgehend. Das ist … ich weiß nicht, wie das passiert ist.«
»Tja, für mich ist das offenkundig«, sagt er.
Bridget ergreift Yasmins Hand und drückt sie. Sie liegt heiß und steif in ihrer. »Das verstehe ich. Aber ich kann Ihnen versichern, dass ich davon nichts weiß.«
Er wendet sich ab. Betrachtet die Zerstörung. Dreht sich wieder um. »Das wird Sie den Job kosten«, erklärt er. »Dafür werde ich sorgen.«
Sie spürt, wie ihr das Blut in die Wangen steigt.
49
»Das muss aufhören, Yasmin! Das muss unbedingt aufhören!«
Ihre Stimme ist lauter als beabsichtigt, sie verrät Wut und Panik. Yasmin hat sich in die Ecke ihres Zimmers verkrochen, sich wie ein kleines Tier, das seinen Tod vorausahnt, gegen die Wand gedrückt. Tränen laufen ihr über das Gesicht. Ich sollte den Wunsch verspüren, sie zu trösten, denkt Bridget, aber ich kann es nicht, ich bin so wütend.
»Wie kannst du mir das nur antun?«, schreit sie. »Begreifst du denn nicht, dass du das nicht nur mir, sondern uns antust? Wir werden obdachlos sein, Yasmin! Mitten im Winter nicht wissen, wo wir hinsollen, und ohne Job – wie konntest du das nur tun? Wie kannst du so …«
Yasmin brüllt lauthals: »Ich war es nicht! Ich war das nicht!«
»Na ja, irgendjemand war es! Und ich war’s nicht! Du musst damit aufhören, Yasmin! Du musst aufhören, so etwas zu machen, und du
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