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Das Haus in den Wolken

Titel: Das Haus in den Wolken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith Lennox
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Ruby ging durch das Dorf und den Weg entlang bis nach Nineveh. Die Sonne war hinter den Wolken hervorgekommen, und die Furchen der Felder schimmerten so glänzend schwarz wie Lakritze. Als sie durch das Gebüsch auf den Trampelpfad abbog, hob sie den Blick und sah Nineveh wie eine Festung auf einer Insel vor sich liegen.
    Auf dem Hof war niemand zu sehen, nur kläffende Hunde und zischende Gänse scharten sich um sie. Ruby rief laut »Hallo!« – erhielt jedoch keine Antwort. Sie ging um das Haus herum nach hinten. Das Sonnenlicht fiel durch die Kronen der Obstbäume und sprenkelte das Kopfsteinpflaster des Hofs. Tante Maudes Stuhl stand immer noch an der einen Seite der Hintertür, das Weidengeflecht aufgequollen und zerschlissen.
    Ruby stieß die Tür auf. »Hannah?«, rief sie. Ihre Stimme hallte wider.
    Ein letzter Hauch von Frühstücksgerüchen – Schinkenspeck und Würstchen – hing in der Küche, und im Spülbecken lagen Teller. Doch im Kamin brannte kein Feuer, und es war auch nirgends eine Hannah zu sehen, die Wäsche wusch oder Hefeteig knetete. Ruby schaute in die anschließenden Zimmer. Während sie durchs Haus lief und Türen öffnete, dachte sie, was für ein abgestandener feuchter Geruch hier überall die Luft durchzog, als wäre die Feuchtigkeit der Fens bis in die letzten Ritzen dieses Hauses gekrochen. Die Verdunklungen waren noch nicht abgenommen worden, es war fast überall stockfinster.
    Die Absätze ihrer Schuhe klapperten auf den abgetretenen Teppichstücken, als sie die Treppe hinaufging. Ein langer Flur erstreckte sich vor ihr, und sie begann Türen zu öffnen. »Hannah?«, rief sie – und hörte plötzlich etwas wie Stöhnen.
    Â»Hannah?« Wieder dieses Geräusch. Ruby konnte erkennen, von welcher Tür es kam.
    In dem Zimmer dauerte es ein, zwei Sekunden, ehe sich ihre Augen an das dämmrige Licht gewöhnt hatten. Sie sah, dass etwas – jemand – zusammengekrümmt auf dem Bett lag.
    Sie kniete neben dem Bett nieder. Hannahs Gesicht war bleich und schmerzverzerrt. »Ach, du lieber Gott, Hannah! «, rief Ruby.

    Jemand war auf den Hof gekommen, ein sehr alter, fast tauber Mann. Ruby schrie ihm zu, dass er sich zu Hannah setzen solle, dann schnappte sie sich das Fahrrad, das an der Hauswand lehnte, und fuhr so schnell wie möglich um Pfützen herum und durch Schlamm hindurch, zurück nach Manea. Im Dorf zeigte ihr jemand, wo der Arzt wohnte. Dr. Faulkner aß gerade zu Mittag, als sie ankam. Nachdem sie ihm von Hannah berichtet hatte, holte er sofort seine Tasche, und sie stiegen in seinen Wagen.
    Es folgte eine rasante Fahrt zurück nach Nineveh, wo Dr. Faulkner Hannah untersuchte. Seine Diagnose: akute Blinddarmentzündung. Sie müssten Hannah sofort ins Krankenhaus schaffen, sagte er, ehe es zu einem Blinddarmdurchbruch komme. Dr. Faulkner wickelte Hannah in eine Decke ein und trug sie in den Wagen. Ruby setzte sich auf die Rückbank, nahm Hannahs Kopf in den Schoß, und dann ging es ab ins Krankenhaus.
    Hannah wurde noch am selben Nachmittag operiert. Ruby blieb im Krankenhaus, bis sie erfuhr, dass Hannah die Operation gut überstanden hatte, und fuhr dann zurück nach Nineveh.
    In der Küche traf sie auf die zwei Freiwilligen, die sich eben eine Kanne Tee kochten. Die jungen Mädchen blickten auf, als sie Ruby kommen hörten, und begrüßten sie.
    Ruby fragte sofort: »Haben Sie gar nicht bemerkt, dass meine Cousine krank ist?«
    Die Blonde starrte Ruby an. »Ich habe gehört, dass sie sich heute Morgen übergeben hat. Aber ich dachte, es wäre bloß ein verdorbener Magen.«
    Â»Nein«, entgegnete Ruby aufgebracht, »es war eine Blinddarmentzündung.«
    Â»Herrje!«, rief die Blonde.
    Und die Dunkelhaarige fragte: »Geht es ihr denn gut?«
    Â»Der Arzt sagt, sie hat noch mal Glück gehabt. Obwohl sie Ihnen das ja nicht gerade zu verdanken hat.«
    Oben in Hannahs Zimmer zündete Ruby die Öllampe an und sah dann auf der Suche nach einem frischen Nachthemd die Schubladen der Kommode durch. Doch sie fand keines, und nach einer Weile setzte sie sich auf das Bett. Dieses Zimmer war einfach schrecklich – die spärlichen Möbel, die alten, abgetragenen Kleider in der Kommode. Da besaßen ja manche Leute, die durch den Blitz alles verloren hatten, schönere Kleidungsstücke

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