Das Haus in den Wolken
mit zitternder Stimme. Sie wirkte verzweifelt. »Wenn du deinen guten Ruf erst einmal verlierst, ist er für immer verloren. Die Leute geben einem keine zweite Chance â sie vergessen nicht .« Sie warf einen Blick zur Tür und versicherte sich, dass sie geschlossen war. »Sag mir, dass diese Affäre noch nicht zu weit gegangen ist, Sara. Sag mir, dass nichts vorgefallen ist.«
Sara errötete. »Natürlich nicht, Mama.«
Die Fragen kamen knapp und zielgerichtet, wie aus der Pistole geschossen.
»Wo wohnt er?«
»In Whitechapel, in der Scarborough Street.«
»Sara, bist du etwa bei ihm zu Hause gewesen?«
Sara blickte auf ihre Hände hinunter. Sie hatte das Gefühl, die Situation gerate aus den Fugen. Ihre Mutter interpretierte alles auf die denkbar schlimmste Weise.
Isabel forderte scharf: »Sag es mir, Sara.«
Sara sah ihrer Mutter in die Augen und erwiderte trotzig: »Nur einmal.«
»GroÃer Gottâ¦Â« Isabel hob die Hand zum Mund. »War noch jemand dort?«
»Nein, Mama.«
»Du warst allein mit diesem Mann. Hat er dich verführt, mit ihm ins Bett zu gehen?«
» Nein , Mama!«, rief Sara wütend. »Ich bin nur dorthin gegangen, weil er nicht mehr zu Ruby kam â er hat versucht, es zu beenden, aber das habe ich nicht zugelassen â und er würde mich nie zu etwas verführen ! Es ist schrecklich, dass du so etwas sagst.«
»Sagst du mir auch die Wahrheit, Sara?« Ihre Mutter, die ganz bleich geworden war, musterte sie eindringlich.
»Natürlich!«
»Was heiÃt hier natürlich! Du hast mich doch offensichtlich die ganze Zeit von vorn bis hinten belogen!«
Sara schnappte nach Luft. In der folgenden Stille hörte sie das Krachen des Donners und die Geräusche des Hauses â das Ticken der Uhr, fernes Geschirrklappern aus der Küche â, vertraute Geräusche, die an ihren zum ZerreiÃen gespannten Nerven zerrten.
Ihre Mutter sagte mit leiser Stimme: »Es tut mir leid, mein Schatz, das hätte ich nicht sagen sollen. Verzeih mir.«
»Ich bin nur einmal zu Anton gefahren, danach nie wieder. Er wollte nicht, dass ich dorthin komme, und er hat nichts Unrechtes getan.« Doch sie wusste, dass ihre Mutter auch das nur für eine Lüge hielt und überzeugt war, Anton und sie wären weit über das hinausgegangen, was ihre Mutter für eine akzeptable Grenze hielt. »Du würdest ihn mögen, wenn du ihn kennen würdest, Mama«, sagte sie inständig.
»Das bezweifle ich sehr.« Ihre Mutter presste die Lippen fest aufeinander.
»Doch, das würdest du, ich weià es!« Es kam Sara vor, als würde sie gegen eine Wand anrennen, die sie durchbrechen musste, weil ihr Glück davon abhing. »Er ist der wunderbarste Mensch â er hat in Wien so Schlimmes erlebt â er musste seine Heimat verlassen und hierherkommen â seine Familie hat ihr ganzes Geld verloren â Anton und sein Vater wurden sogar ins Gefängnis gesteckt!«
»Ins Gefängnis«, sagte Isabel entsetzt. »Das ist kaum eine Empfehlung. Schatz, für mich klingt das nicht so, als wüsstest du wirklich etwas über ihn. Du hast seine Familie nie kennengelernt und sein Zuhause auch nicht. Du hast nur sein Wort für alles, was er dir erzählt hat.«
»Anton würde mich nicht anlügen.«
»Das kannst du gar nicht wissen.«
»Warum sollte er lügen? Ich vertraue ihm. Ich kenne ihn.«
»Du glaubst , ihn zu kennen, Sara«, entgegnete Isabel schroff. »Männer können sehr klug und überzeugend sein. Wenn sie wollen, lassen sie eine Frau nur das sehen, was sie sehen soll. Und manchmal lügen sie auch, um ihr Ziel zu erreichen. Ich weiÃ, du glaubst, ich urteile zu hart. Aber ich bin mir sicher, dass dieser Mann â Anton â sehr überzeugend sein kann, und ich bezweifle nicht, dass er charmant ist. Aber sag mir eins: Wenn er ein ehrenwerter Mann wäre, hätte er dir dann nur heimlich den Hof gemacht?«
»Mama â bitte â sag nicht, dassâ¦Â« Jetzt weinte Sara.
»Schatz, sei nicht traurig. Du wirst einen anderen ï¬nden, einen, der zu dir passt, das verspreche ich dir.«
»Das werde ich nicht â ich weià esâ¦Â«
Ihre Mutter goss Tee ein. Sara richtete den Blick auf Altvertrautes: das Teesieb, das über die Tassen gehalten wurde, um die Teeblätter aufzufangen; die
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