Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
irritierend und abweisend, aber seine Worte hatten aufrichtig geklungen. Vielleicht war er gar nicht der Mensch, für den ihn alle Welt zu halten schien. Pauline lächelte in sich hinein. Sie wusste, sie versuchte sich selbst zu überzeugen. Elfies Worte hatten einen winzigen Stachel des Zweifels in ihrem Herzen hinterlassen. Doch wenn er tatsächlich vorhaben sollte, sie in irgendeiner Form zu bedrängen, würde sie sich seinen Rat zu Herzen nehmen: Sie würde nein sagen, bevor es zu spät war. So schwer konnte das nicht sein.
Entschlossen machte sie sich auf den Weg zum Haus in der Löwengasse.
***
«Guten Tag, Fräulein Schmitz.» Jakob nickte Pauline freundlich zu und ließ sie eintreten. «Herr Reuther ist nicht hier, da wichtige Geschäfte ihn in die Fabrik gerufen haben. Er hat mich angewiesen, Ihnen Ihr Zimmer zu zeigen und den Kindern vorzustellen. Er wünscht, dass Sie sich zunächst mit dem gesamten Haushalt und den Dienstboten vertraut machen. Ihr offizieller Dienstantritt ist deshalb erst morgen.»
«Danke schön, Herr …» Pauline zögerte.
«Jakob. Einfach Jakob, gnädiges Fräulein.»
Pauline errötete leicht. «Ich bin aber kein gnädiges Fräulein, Jakob.»
Der Hausdiener lächelte. «Herr Reuther hat strikte Anweisungen gegeben, wie wir Sie anzusprechen haben, Fräulein Schmitz.»
«Oh.»
«Folgen Sie mir bitte.» Er nahm ihr die Reisetasche ab und trug sie ihr voran durch die Eingangshalle. «Ich hoffe, es stört Sie nicht, dass Ihr Zimmer gleich neben dem von Fräulein Ricarda liegt. Das ist eigentlich nicht der Dienstbotentrakt, aber der gnädige Herr fand, dass Sie als Gouvernante für die Kinder jederzeit ansprechbar sein sollten. Peters Zimmer liegt dem Ihren schräg gegenüber. Bitte hier entlang.» Er machte eine einladende Geste, mit der er sie aufforderte, vor ihm die Stufen hinaufzusteigen. Oben angekommen wandten sie sich nach links; Jakob öffnete die zweite Tür auf der rechten Seite und ließ Pauline eintreten. «Ich hoffe, es ist alles zu Ihrer Zufriedenheit, gnädiges Fräulein. Frisches Wasser, Seife und Handtücher finden Sie im Badezimmer nebenan.» Er wies auf eine schmale Tür auf der linken Seite des Zimmers.
Doch Pauline beachtete ihn schon gar nicht mehr. Zu sehr war sie von dem Raum überrascht, der sie empfing. Nicht sehr groß, aber hell war er, mit cremefarbenen Spanntapeten und luftigen, dunkelgrünen Vorhängen, die um das große, zweiflüglige Fenster drapiert waren. Es gab ein breites Bett mit weiß bezogenen Kissen und Decken sowie einer zusätzlichen, dunkelgrünen Wolldecke, einen Kleiderschrank und eine Kommode mit Spiegel, beide aus dunkel gestrichenem Kirschholz. Auf dem ebenso dunklen Holzdielenboden lagen zu beiden Seiten des Bettes dicke Läufer, ebenfalls in Dunkelgrün. «Danke, Jakob, es ist alles sehr schön.»
«Herr Reuther lässt Ihnen ausrichten, dass Sie morgen, solange die Kinder in der Schule sind, zur Schneiderin Lissenich am Neumarkt gehen sollen. Kathrin kann Sie begleiten. Sie sollen sich eine neue Garderobe anfertigen lassen, und zwar sowohl Alltags- wie auch Festtagskleider. Und ein oder zwei Ballkleider auch, da Sie wahrscheinlich zukünftig bei derartigen gesellschaftlichen Anlässen anwesend sein müssen.»
«Ballkleider?» Verständnislos blickte Pauline ihn an. «Aber Fräulein Ricarda ist doch noch viel zu jung und nicht in die Gesellschaft eingeführt. Von Peter ganz zu schweigen.»
Jakob zuckte mit den Schultern. «Es sind Herrn Reuthers Anweisungen, halten Sie sich besser daran.» Wieder lächelte er. «Der gnädige Herr ist sehr großzügig. Er muss große Stücke auf Sie halten, Fräulein Schmitz.»
«Es scheint so.»
«Er hat die Kosten bereits mit der Schneiderin abgesprochen. Sie brauchen sich also nur noch auszusuchen, was Sie benötigen. Und für den Übergang hat Herr Reuther Ihnen etwas in den Schrank hängen lassen.» Jakob ging zur Tür. «Ich lasse Sie nun allein. Wenn Sie sich frischgemacht haben, kommen Sie bitte ins Esszimmer. Unten an der Treppe links. Dann stelle ich Ihnen die übrigen guten Geister des Hauses vor und zeige Ihnen das Anwesen. Die Kinder kommen heute gegen kurz nach eins aus der Schule, dann können Sie gleich gemeinsam speisen.» Er nickte ihr zu und schloss die Tür hinter sich. Pauline sah sich noch einmal in dem hübsch eingerichteten Zimmer um, ließ sich dann auf die Bettkante sinken. Wann hatte sie zuletzt so komfortabel gewohnt? Nicht einmal bei Buschners war ihr Zimmer so
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