Das Haus in der Löwengasse (German Edition)
grundsätzlich. Allenfalls ein beschleunigter Schritt kann hin und wieder vonnöten sein. Dafür muss es dann aber einen guten Grund geben.»
«Ich hasse es, ein Mädchen zu sein», maulte Ricarda.
Pauline lächelte. «Ich weiß, was du meinst. Aber wir können es nun einmal nicht ändern. Wenn du also deine Frisur der guten Berthe zeigen möchtest, dann tu das in Ruhe. Aber bedenke, dass wir noch ein paar Lektionen vor uns haben.»
«Was für Lektionen denn?»
«Ich möchte, dass du mir heute etwas zeichnest, damit ich deine Fähigkeiten einschätzen kann. Währenddessen werde ich mit Peter Lesen üben, denn daran hapert es bei ihm noch sehr.»
«Ich kann gut zeichnen», verkündete Ricarda. In ihrer Stimme schwang großes Selbstbewusstsein mit.
Pauline neigte den Kopf. «Davon möchte ich mich gerne überzeugen. Bring bitte deine Zeichenutensilien nach unten in das kleine Wohnzimmer. Dort haben wir beim Fenster sehr gutes Licht.»
Pauline verließ mit Ricarda das Zimmer, um nachzuschauen, wo sich Peter herumtrieb. In den drei Tagen, die sie jetzt im Hause Reuther lebte, hatte es ein stetiges Auf und Ab in der Beziehung zu den Kindern gegeben. Die beiden hatten offenbar stillschweigend dem von Pauline vorgeschlagenen Waffenstillstand zugestimmt und hielten sich mit Anfeindungen zurück. Da Julius seinen Kindern überdies unmissverständlich klargemacht hatte, dass Pauline auf jeden Fall im Hause bleiben würde, ganz gleich, wie sehr sie sich sträubten, blieb ihnen auch kaum eine andere Wahl, als sich zu fügen.
Es fiel beiden Kindern sichtlich schwer, Paulines Anweisungen zu folgen und ihr in allem zu gehorchen. Zu lange waren sie sich selbst überlassen gewesen. Pauline wusste, dass ihr noch einige Kämpfe bevorstehen würden. Momentan bemühten sich Peter und Ricarda um Mitarbeit, doch so, wie sie die beiden einschätzte, würden sie schon bald etwas aushecken, um ihre Grenzen auszuloten.
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Kapitel 11
«Guten Morgen, Berthe.» Pauline betrat die Küche, die sonst das Refugium von Louis, dem französischen Koch, war. Dieser trat seinen Dienst jedoch nie vor zehn Uhr vormittags an. Für das Frühstück war die ältliche Haushälterin verantwortlich. Berthe werkelte bereits eifrig am Herd.
«Kann ich dir irgendwie helfen?»
Überrascht drehte Berthe sich zu ihr um. «Das brauchen Se doch nicht, Fräulein Schmitz.»
«Ich möchte es aber.» Pauline lächelte ihr zu. «Außerdem hat Herr Reuther mich gebeten, dir zur Hand zu gehen.»
«Er denkt, ich werd alt und schaff die Arbeit nicht mehr.»
«Aber nicht doch! Es ist nur …»
«Er hat ja recht.» Berthe seufzte und ließ sich mit der Kaffeemühle auf die Bank beim Küchentisch sinken. Während sie zu mahlen begann, sagte sie: «Ich bin wirklich nicht mehr die Jüngste. Auch wenn ich nicht weiß, wie ein Backfisch wie Sie mit dem ganzen Haushalt zurechtkommen soll.»
«Backfisch?» Pauline lachte. «Berthe, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt! In diesem Alter führen die meisten Frauen bereits einen Haushalt.»
«Aber nicht einen wie den unseren», erwiderte Berthe. «Sie haben mit den Kindern schon alle Hände voll zu tun.»
«Keine Sorge, ich schaffe das schon.» Pauline sah sich um. «Kann ich dir wirklich nicht helfen?»
«Näh, lassen Se mal.»
«Dann schaue ich mal, was Kathrin treibt. Hat sie den Tisch im Speisezimmer schon gedeckt?»
«Wahrscheinlich.» Berthe zuckte nur mit den Schultern und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu.
Pauline ging hinüber ins Speisezimmer und inspizierte das Frühstücksgeschirr. Kathrin hatte es sehr nachlässig auf dem Tisch angeordnet. Die Tassen standen schief auf den Untertassen, das Besteck lag wie Kraut und Rüben um die Teller verteilt. Suchend blickte Pauline sich um. «Kathrin?», rief sie in Richtung der Diele.
«Ja, komme schon!» Nur Augenblicke später erschien das Dienstmädchen mit einem Staubtuch in der Hand in der Tür.
«Schau dir bitte einmal den Frühstückstisch an», forderte Pauline sie auf.
Kathrin trat näher. «Ja … und?»
«Findest du nicht, dass man den Tisch ein bisschen ordentlicher decken könnte?»
«Was is’ denn falsch daran?» Achselzuckend wollte Kathrin sich schon wieder abwenden, doch Pauline versperrte ihr rasch den Weg.
«Ich möchte, dass du den Tisch ordentlich deckst. Komm her, ich zeige dir, wie.»
«Meinetwegen.» Kathrin legte das Staubtuch auf ihrer Schulter ab und trat neben Pauline, die die Tassen geraderückte, das Besteck und
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