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Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Das Haus in der Löwengasse (German Edition)

Titel: Das Haus in der Löwengasse (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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aufgelöstes Haar mit einem grobzinkigen Kamm. Dabei zerrte sie derart heftig an den Haarsträhnen, dass es Pauline schon beim Zusehen weh tat. Sie trat näher. «Was tust du denn da?»
    «Wonach sieht es denn aus?», raunzte das Mädchen und gab damit ihrer üblen Laune deutlichen Ausdruck.
    Entschlossen legte Pauline ihr eine Hand auf die Schulter, mit der anderen entwand sie ihr den Kamm. «Du wirst dir noch alle Haare ausreißen, wenn du so weitermachst.»
    «Und wennschon. Sie sind sowieso hässlich.»
    «Was, deine Haare?» Überrascht blickte Pauline auf das Mädchen hinab, dann schaute sie in den Spiegel, wo sich ihrer beider Blicke trafen. «Wie kommst du denn darauf? Du hast doch wunderschöne Locken.»
    «Immerzu verheddern sie sich und sehen ganz struppig aus. Und blond sind sie auch nicht. Alle mögen nur blonde Mädchen.»
    «Das ist nicht wahr», widersprach Pauline energisch. «Es gibt viele Leute, die schwarzes Haar sehr anziehend finden.»
    «August nicht. Und Bertram und Johannes auch nicht.»
    «Wer ist das denn?»
    «Buben aus der Jungenschule.»
    «Aha.» Pauline lächelte verständnisvoll. «Weißt du, Jungen in deinem Alter können ziemlich blöd sein. Immerzu sagen sie gemeine Sachen, auch wenn sie es vielleicht gar nicht so meinen. Vor allem, wenn sie zu mehreren zusammen sind.»
    «Warum?»
    «Ich weiß es nicht. Aber ich bin sicher, dass sie dich in Wahrheit nicht hässlich finden, sondern sehr hübsch. Das bist du nämlich. Soll ich dir mal deine Haare frisieren?»
    «Das wird doch nichts. Berthe flicht mir immer einen festen Zopf, weil sie sagt, dass man die Wolle sonst nicht im Zaum halten kann.»
    Pauline griff in Ricardas Haar, ließ es vorsichtig durch ihre Finger gleiten. «Dann werden wir Berthe jetzt beweisen, dass sie unrecht hat.»
    Überrascht und nicht wenig misstrauisch guckte Ricarda sie an, aber sie ließ zu, dass Pauline ihre Haarsträhnen sanft mit einer Bürste bearbeitete. Mit Hilfe des Kamms zog sie einen geraden Scheitel und steckte die Haare im Nacken zu einem hübschen, modischen Knoten zusammen. Ein paar Löckchen ließ sie an den Schläfen offen herabhängen, brachte sie nur mit ein ganz klein wenig Pomade in Form. Die mit Duftölen versetzte Pomade stammte noch aus der Zeit bei ihrem Onkel. Viel war in dem Tiegel, den sie in ihrem Zimmer aufbewahrte, nicht mehr übrig. Da sie nun einen so großzügigen Lohn erhielt, würde sie sich wohl bald einen neuen Vorrat zulegen.
    Ricarda beäugte sie argwöhnisch. «Was ist das?»
    «Damit verhindern wir, dass die hübschen Löckchen wild herumfliegen. Zu viel Pomade darf man nicht verwenden, sonst verkleben die Haare, und man kann sie nur schwer wieder auswaschen. Siehst du, ich nehme nur eine winzige Menge auf die Fingerspitze.» Sie zeigte dem Mädchen, was sie meinte, und nickte dann zufrieden. «Schau, wie hübsch du bist!»
    Ricarda begutachtete sich eingehend im Spiegel.
    «Dein Haar wirkt ein bisschen stumpf. Womit wäschst du es denn?», fragte Pauline.
    Ricarda drehte sich zu ihr um. «Na, mit Seife, was sonst?»
    «Nur Seife?» Pauline tippte sich mit dem Zeigefinger gegen die Unterlippe. «Das nächste Mal machen wir danach eine Spülung mit Essigwasser. Davon werden deine Haare richtig schön glänzen. Wir können auch ein bisschen Honigmilch hineinkneten und über Nacht einwirken lassen.»
    «Honigmilch?» Die Verblüffung war Ricardas Stimme deutlich anzuhören.
    Pauline nickte. «Ja, denn das pflegt deine Locken und macht sie weich.»
    «Werden sie dann so wie Ihre Haare?»
    «Nicht ganz, denn du hast viel dickere Locken als ich. Bei mir sind es ja eher Wellen. Aber ich bin sicher, deine Haare werden dir danach viel besser gefallen. Ich finde deine Locken jetzt schon ganz entzückend.»
    «Ich zeige das gleich mal Berthe!», rief Ricarda, sprang auf und wollte schon aus dem Zimmer stürmen. Pauline bekam sie gerade noch am Arm zu fassen. «Halt, hiergeblieben!» Tadelnd hob sie den Zeigefinger. «Wir rennen nicht im Haus herum. Junge Damen gehen ruhig, gemessenen Schrittes, mit erhobenem Kopf und geraden Schultern.»
    «Das ist doch blöd. Wenn ich aber doch ganz schnell irgendwohin will?», beschwerte sich Ricarda. «Jungen dürfen auch immer rennen.»
    «Nicht im Haus, meine Liebe. Nicht im Haus.»
    «Aber draußen darf ich rennen?»
    «Nein, Mädchen rennen niemals, es sei denn, sie befinden sich auf der Flucht. Da dies so gut wie nie vorkommt, unterlassen wir das schnelle Laufen und Rennen

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