Das Haus in Georgetown
voran.“
Sie war sich nicht mehr sicher, ob sie überhaupt weitere Nachforschungen anstellen wollte. Was hatte sie bisher herausgefunden? Dass ihre Mutter, ihre spröde, anständige Mutter womöglich ein Verhältnis gehabt hatte. Sie wusste nicht, wie oder ob das etwas mit ihrer Schwester zu tun hatte, und sie befürchtete, dass die Kluft zwischen ihren Eltern mit jeder weiteren Frage, die sie stellte, noch größer werden würde.
„Ich schlage dir Folgendes vor“, meinte Pavel, da sie schwieg. „Ich verrate dir einfach etwas, das du noch nicht wissen kannst. Bei unserem letzten Gespräch warst du dafür zu wütend.“
„Über deinen Verrat.“
„Ich habe dich nicht hintergangen. Ich hatte nur keine Ahnung, wie ich dir das mit meinem Vater erklären sollte. Du warst mir zu wichtig geworden.“
Das klang verdächtig nach dem, was David mittags gesagt hatte. Aber die Umstände waren völlig andere. Wie würde es sich anfühlen, Pavel Glauben zu schenken? Käme sie sich wie eine Närrin oder wie eine Heilige vor? Oder einfach wie eine Frau, die sich im Zweifelsfall für den Mann entschied, an dem ihr etwas lag?
Sie ging wieder zum Herd, holte den Teekessel, füllte ihn mit Wasser und setzte ihn auf, obwohl sie nicht vorhatte, noch mehr Tee zu trinken. Endlich wandte sie sich zu ihm um. „Wie können wir etwas über die Entführung herausfinden? Das ist so lange her. Es gibt keine Indizien, keine Zeugen.“
„Indem wir unsere Informationen miteinander abgleichen. Indem wir uns von hier aus schrittweise vorantasten. Indem wir den richtigen Leuten die richtigen Fragen stellen.“
„Dottie Lee?“
„Zum Beispiel, ja.“
„Meiner Mutter?“
„Das ist deine Entscheidung. Ich bin nicht hier, um dich unter Druck zu setzen.“
Die Zukunft stand ihr klar vor Augen. Wenn sie sich für Kooperation entschied, würden sie einander wieder näher kommen. Wenn sie ablehnte, würde sie nie erfahren, was mit ihrer Schwester passiert war und was sie wirklich für Pavel empfand.
„Gut, erzähl mir, was du weißt.“
„Das werde ich, egal, was du als Nächstes sagst. Wirst du dann mit mir zusammenarbeiten? Willst du mir helfen, die Puzzlestücke zusammenzufügen?“
„Unter dem Vorbehalt, dass ich mich zurückziehe, wenn wir Gefahr laufen, jemandem wehzutun.“
Der Kessel pfiff. Sie schaltete den Herd aus. „Letzter Aufruf für Earl Grey.“
„Komm her und setz dich.“
Zögerlich setzte sie sich ihm gegenüber an den Tisch und faltete die Hände. „Was hast du mir noch nicht verraten?“
„Entsinnst du dich noch, dass ich dir von diesem Wochenende erzählt habe, an dem meine Mutter im Suff zum ersten Mal von meinem Vater geredet hat?“
Sie erinnerte sich gut daran, weil dieser düstere Einblick in Pavels Kindheit – trotz allem, was danach geschehen war – ihr zu schaffen gemacht hatte. „Hat sie noch mehr gesagt?“
„Sie hat mir ihr Herz ausgeschüttet. Weiß der Teufel, wieso. Sie hatte so viele Geheimnisse. Ich bin in dem Glauben aufgewachsen, mein Vater hätte uns verlassen. Plötzlich musste ich erfahren, dass er sich an einem Dachbalken erhängt hat.“
„Warum hat er sich umgebracht? Hat sie dir das mitgeteilt?“
„Weil er die beiden Menschen verloren hatte, die er liebte.“
„Deine Mutter und dich.“
„Nein. Deine Mutter und mich.“
Darauf wusste sie nichts zu erwidern. Er nickte zur Bekräftigung. „Faith, deine Mutter hatte ein Verhältnis mit meinem Vater. Das war der Hauptgrund für meine Mutter, nach Kalifornien zu gehen. Nicht die Entführung, sondern seine Untreue.“
„Und du glaubst das?“
„Sonst hätte sie ihn nicht verlassen.“
„Vielleicht ist sie gegangen, weil er Hope wirklich entführt hat.“
„Sie hat mir auf dem Totenbett geschworen, dass er es nicht getanhat. Sie ließ kein gutes Haar an ihm, aber sie pochte darauf, dass er es nicht war. Sie verließ diese Welt mit den Worten, dass er dieses Verbrechens nicht schuldig war, wohl aber des Ehebruchs.“
„Mit Lydia.“
„Meine Mutter hat direkt nach der Entführung von der Affäre erfahren – wie, das weiß ich nicht – und meinen Vater damit konfrontiert. Er hat es zugegeben. Er sagte, seine Affäre mit Lydia sei an dem Tag zu Ende gegangen, als sie erfuhr, dass sie ein Kind erwartete. Als es unterwegs war, wollte Lydia ihre Ehe um jeden Preis retten, und mein Vater versuchte dasselbe. Er flehte meine Mutter an, meinetwegen bei ihm zu bleiben, aber sie war zu enttäuscht. Sie war sehr
Weitere Kostenlose Bücher