Das Haus in Georgetown
ausgefransten Jeans ab und ergriff ihre Hand. „Pavel Quinn. Ich wohne auf der O Street.“
Er war ein Riese, so breitschultrig und stämmig, dass er problemlos beim Umzugsunternehmen hätte anheuern können. Die wuscheligen Locken, die ihm über die Stirn und die Ohren fielen, waren schokoladenbraun, genau wie seine Augen. Er hatte sich eindeutig seit Tagen nicht rasiert – vielleicht seit einer Woche –, und sein T-Shirt war mit Farbklecksen übersät. Aber im Augenblick kam er Faith wie ein Held vor.
„Ich bin froh, dass Sie eingeschritten sind“, beteuerte sie.
„Wir hätten es nicht fallen lassen“, versicherte der Fahrer. „Hab nie in all den Jahren ein Klavier fallen lassen.“ Die Packer gingen hinaus, um den Rest der Ladung ins Haus zu schaffen und dann für die letzte Fuhre nach McLean aufzubrechen.
Pavel Quinn schaute sich im Haus um. „Ihren Vermieter sollte man an die Wand stellen.“
Sie war zu erleichtert, um beleidigt zu reagieren. „Das ist mein Haus. Meine Baustelle, sollte ich wohl besser sagen.“
„Ihr Haus?“ Er runzelte die Stirn. „Haben die Hustons es nach all den Jahren doch noch verkauft?“
Sie war nicht überrascht, dass Pavel Quinn die Geschichte kannte. Jeder schien darüber Bescheid zu wissen. „Mein Mädchenname ist Huston. Bronson heiße ich erst seit meiner Heirat.“ Sie hatte sich noch nicht entschieden, ob sie ihren Mädchennamen wieder annehmen sollte, tendierte aber dazu. „Und nicht mehr lange, wie es aussieht.“
Er betrachtete sie mit einem Lächeln. „Scheidung?“
„Ja.“
„Tut mir Leid.“ Er blickte sie noch immer an. Man konnte fast zugucken, wie sich die Informationen in seinem Gehirn wie Puzzlestücke zusammenfügten. Sie ließ die Schultern hängen. Sie war erschöpft. Der Umzug forderte all ihre physischen Kräfte, und die Erleichterung über das gerettete Klavier war schon verflogen. „Mein Leben ist ein offenes Buch, was? Gibt es irgendwen in Washington, der meine Schuhgröße nicht kennt?“
Er fuhr zusammen. „Es tut mir Leid. Wirklich. Es ist nur so, dass mich Lokalgeschichte interessiert. Eine Art Hobby. Und dieses Haus ...“
Mehr musste er nicht sagen. „Ich weiß. Es ist eine Sehenswürdigkeit.“
„Meins auch. Im neunzehnten Jahrhundert ist dort ein Außenminister bei einer Dinnerparty gestorben. Wer in Georgetown wohnt, ist von Ruhm umgeben. Sie werden sich daran gewöhnen.“
Sie fand es nett von ihm, dass er versuchte, sie abzulenken, aber sie war zu müde, um so zu tun, als wäre es ihm gelungen. „Hat Ihre Gattin Sie wegen einer anderen Frau verlassen?“
„Ich bin unverheiratet.“
„Dann haben Sie keine Ahnung, wie mein Leben derzeit aussieht.“
„In wie viele Fettnäpfchen bin ich schon getrampelt, seit ich Ihr Haus betreten habe?“
Sie holte tief und langsam Luft. „Entschuldigung. Sie sind nur freundlich gewesen. Im Gegensatz zu mir. Ich ...“
„Übernehmen Sie immer die Verantwortung für anderer Leute Unhöflichkeit?“
„Immer.“
„Für meine bitte nicht. Abgemacht?“
Beschämt ging sie mit ihm zur Haustür. „Vielen Dank, dass Sie zur richtigen Zeit am rechten Ort waren.“
„Ich war bei ,Booeymonger‘ frühstücken.“
„Und Sie wollten sich den Spaß hier angucken. Wir sind heute die Attraktion im Viertel.“
„Sie werden feststellen, dass wir hier alle furchtbar neugierig sind. Wir sind eine Kleinstadt im Herzen einer Großstadt.“
„Sie sollten mal meine Nachbarin kennen lernen.“
„Dottie Lee?“ Er grinste. Sein Lächeln ging durch und durch, es lag nichts Aufgesetztes oder Förmliches darin. „Ich kenne Dottie Lee. Es hat Sie direkt neben unsere Lokalhistorikerin verschlagen.“
Die Packer kamen mit einem Sofa herein und setzten es gegenüber vom Klavier geräuschvoll ab. „Das wär’s“, meinte der Fahrer. „Wir fahren jetzt nach Virginia zurück.“ Sie eilten über die Stufen nach draußen.
Faith wollte das Haus abschließen und ihnen folgen. „Also, vielen Dank für Ihre Neugier“, sagte sie zu Pavel. „Sie haben ein Stück Geschichte gerettet.“
„Ich bin mir sicher, dass wir uns wieder über den Weg laufen werden. Wenn Sie in der O Street sind, schauen Sie doch mal vorbei. Mein Haus ist das viktorianische im Stick-Stil, an der Ecke zur 31. Straße. Aber hoffen Sie nicht, dass es von innen genauso gut aussieht wie von außen. Es ist ebenfalls eine Baustelle.“
Als sie sich die Hände schüttelten, verschwand ihre Hand völlig in seiner. An
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