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Das Haus mit der grünen Tür

Das Haus mit der grünen Tür

Titel: Das Haus mit der grünen Tür Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gunnar Staalesen
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spät sah ich die Bewegung rechts neben der Tür. Ehe ich mich umdrehen konnte, fiel mir die Decke auf den Kopf. Der Boden öffnete sich unter mir, und ich fiel durch eine bodenlose Dunkelheit, Die Decke war schwer, und ich fiel lange. Und als ich endlich landete, streute irgend jemand Sterne über meinen Kopf. Einige waren rosa. Der Rest war schwarz.

29
    Kommt ein Vogel geflogen, setzt sich nieder auf mein Fuß …
    Kommt ein Vogel geflogen …
    »Beate, bist du’s, Beate?«
    Keine Antwort.
    »Tom?«
    Keine Antwort.
    »Tom?«
    Ich hob den Kopf. Ich legte ihn wieder hin.
    Ich war eine zerbrochene Flasche. Jemand hatte mich benutzt, um einen Bauch aufzuschlitzen. Dann hatten sie mich in den Rinnstein geworfen, oder sonstwohin.
    Ich hob wieder den Kopf – warum waren da so viele Sterne? Warum waren die Sterne rot? Als hätte jemand sämtliche Sternchen aus sämtlichen Sonntagsschulheftchen in rote Farbe geworfen.
    Aber der Zaun sollte nicht rot gestrichen werden. Er sollte weiß werden. »To-om!«
    Kommt ein Vogel.
    »Beate, Beate, Beate …«
    Das Nasse in meinem Gesicht. Das war kein Blut. Das war kein Regen. Das waren Tränen.
    Aber das Nasse auf meinem Hinterkopf? Vorsichtig schob ich meine Hand dort hinauf, vorsichtig zog ich sie zurück und sah sie an. Das Nasse auf meinem Hinterkopf war Regen.
    Ich versuchte, mich zu bewegen. Ich fühlte mich wie ein altes Lastschiff, das zu lange auf Reede gelegen hatte. Rost in der Maschine, Staub in den Korridoren, sinnloser Ballast im Laderaum.
    Kommt ein Vogel geflogen …
    »Oh, Gott, Beate, oh, Gott, ich hab es nicht so gemeint. Warum bist du weggeflogen, Beate? Warum hast du mich hier zurückgelassen? Es ist so naß hier. Und Thomas, der kleine Thomas …«
    Kommt ein Vogel geflogen …
    Ich hob mich auf die Knie, hielt den Kopf zwischen den Ellenbogen. Es hämmerte im Körper, aber am meisten im Kopf. Ich hatte Sand und Dreck an den Kleidern und im Gesicht, und vor den Augen tanzten vergilbter Rasen und grauweiße Sternchen.
    Ich hob den Kopf – das Gesicht – und sah mich um. Bäume: dunkle, hängende Bäume. Und hinter dem Rasen eine Böschung, große Steine und über der Böschung eine unnatürliche Fläche – und ein Dröhnen. Dröhnen von Verkehr, Autos, unendlich viele Autos.
    Die Bäume waren ein kleines Wäldchen, die Steine rundherum waren grau, der Himmel darüber war fürchterlich blaß und weiß, wie das Gesicht eines Sterbenden – eines Menschen, der dir einmal etwas bedeutet hat.
    Ich richtete mich ganz auf, aber das war ein Fehler. Ich setzte mich wieder hin – und kotzte. Die Kotze floß an meinem Pullover und meiner Hose hinunter. Das machte nichts. Ich fühlte mich besser. Die Sterne waren verschwunden, vor meinen Augen war nur noch ein schwaches, gräuliches Flimmern. Die Kopfschmerzen waren konstant und dauerhaft, aber ich würde mich an sie gewöhnen.
    Ich stand wieder auf. Ich stützte mich gegen einen schmierigen Baumstamm. Es ging jetzt besser.
    Ich ging ein paar Schritte. Ich fiel nicht um. Der Kopf fiel nicht ab. Alles geht besser mit Coca-Cola.
    Mein Mund war trocken wie ein Stück Sandpapier. Zwischen ein paar Grasbüscheln verlief ein schlammiger Graben, und auf dessen Grund: braunes, modriges Wasser. Ich ging auf die Knie, beugte mich hinunter und trank. Dann kotzte ich noch ein bißchen, nur so zum Spaß, und fühlte mich noch etwas besser.
    Mir fiel ein, daß ich vielleicht mal in meine Taschen sehen sollte.
    Die Schlüssel, die Dietriche, die Plastikscheibe: Es war alles da.
    Die Autoschlüssel, die Wohnungsschlüssel und die fürs Büro.
    Die Brieftasche: Alle Papiere waren da, aber nicht ein Geldschein. Ich dachte an die fünf Hunderter, die mir Moberg gegeben hatte, und ich war froh, daß ich vier davon zu Hause gelassen hatte. Nichtsdestotrotz befand ich mich blank und ohne eine Øre irgendwo in einem Graben am Rande eines bösen Traums.
    Kommt ein Vogel geflogen …
    Ich stapfte durch das morsche Gras, kroch den buckligen Rücken der Böschung hinauf und kam auf die Straße. Der Verkehr hatte abgenommen. Der Berufsverkehr war vorbei, nahm ich an. Die Arbeitszeit hatte begonnen. In der Stadt. Ich sah mich um. Hinter dem kleinen Wäldchen schauten am Ende eines Moores ein paar bescheidene Reihenhäuser hervor, von einem neuerschlossenen Stück Bauland. Hinter ihnen wiederum lagen weitere Häuser, ein paar flache Wohnblocks und das Skelett eines halbfertigen Hochhauses. Ich stand mitten auf einem Hang, links und rechts von der

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