Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
umgekehrt.«
89
Es hätte für sie viel schlimmer kommen können.
Das wusste sie.
Obwohl es auch so schon schlimm genug war.
Die Polizei von Key Biscayne war höflich zu ihr, hörte sich das Wenige an, das sie ihnen sagen konnte – da Pete in ihren Augen noch immer ihr Patient war –, und sagte ihr, sie würde einen Bericht verfassen.
Danach fuhr Magda, die die ganze Zeit gewartet hatte, sie zurück nach Névé.
Sam öffnete sofort die Tür.
Er hatte vor einer Stunde einen Höflichkeitsanruf bekommen.
»Alles okay mit dir?«, fragte er sie.
»Ja«, nickte sie. »Danke.«
Sie hörte den Lexus durch das Tor abfahren, wollte sich noch einmal umwenden und winken, aber dann überlegte sie es sich anders. Sie fühlte sich zu sehr wie ein weggelaufenes Kind.
»Ich habe mit Jerry Wagner gesprochen«, sagte Sam. »Und ich nehme an, das wirst du auch tun müssen.«
Er schloss die Haustür.
Das Erdgeschoss war still, leer. Die Familienautos standen vor dem Haus, aber aus Taktgefühl, vermutete Grace, hatten sich alle zurückgezogen.
»Ich weiß, dass du sauer auf mich bist«, begann sie langsam. »Ich bin selbst sauer auf mich. Aber ich weiß noch immer nicht, welche Wahl ich unter diesen Umständen gehabt hätte.«
Sam schüttelte den Kopf. »Wie kannst du das nicht wissen?«
»Magda hat mich die ganze Zeit nicht aus den Augen gelassen.«
»Trägt Magda eine Schusswaffe bei sich?«, fragte Sam.
Grace runzelte die Stirn. »Das bezweifle ich, und ich möchte auch bezweifeln, dass du glücklich wärst, wenn die Antwort Ja lauten würde.«
Woody tauchte auf, mit wedelndem Schwanz, kam näher, blieb dann stehen, spürte die angespannte Stimmung. »Ich wäre glücklich«, sagte Sam, »wenn ich mich darauf verlassen könnte, dass du dich wie ein geistig gesunder Mensch verhältst.«
»Und ein Kind ignoriere, das damit droht, sich umzubringen?« Grace spürte, wie die Wut in ihr aufstieg. »Und es ist mir egal, ob er ein Zeuge war, oder es war mir in dem Moment egal, und ich möchte wetten, du an meiner Stelle hättest so ziemlich dasselbe getan.«
»Mit einem entscheidenden Unterschied.«
»Du hättest mich zuerst angerufen.«
»Da hast du recht«, sagte Sam und ging weg.
Sam ging selten von ihr weg.
Es dauerte lange, bis sie wieder darüber redeten.
Die Familie war dazwischengekommen, die Zeit mit ihrem Sohn, das Abendessen, sichere Konversation, bei der niemand zu viele Fragen stellte. Nur Claudia hatte sich Grace in der Küche kurz vorgeknöpft und ihr gesagt, sie könne es ja verstehen, hätte aber trotzdem etwas dagegen, so getäuscht zu werden.
»Es tut mir leid«, hatte Grace sich entschuldigt.
Claudia hatte sie aufmerksam gemustert. »Es muss so schlimm für dich gewesen sein.«
»Noch viel, viel schlimmer für Pete.«
Sam und sie gingen früh nach oben, sahen nach Joshua, dann gingen sie in ihr Zimmer und schlossen die Tür.
»Hat Jerry dir gesagt, womit ich rechnen muss?«, fragte Grace.
Sams Augenbrauen schnellten nach oben. » Ich bin nicht sein Mandant.«
»Er konnte noch nicht viel sagen«, erwiderte sie leise. »Er nimmt an, der Staatsanwalt wird darüber informiert werden, und sie werden vielleicht versuchen, die Kaution zu widerrufen.« Die Bedeutung dieser Worte traf sie auf einmal mit voller Wucht. »Mein Gott, Sam, was würde das finanziell für dich bedeuten?«
»Ich glaube nicht, dass es dazu kommen wird«, sagte er. »Aber danke, dass du darüber nachdenkst.«
»Ein bisschen spät.«
»Nur ein bisschen.«
»Ich wünschte, du würdest mich anschreien.«
»Das will ich nicht.«
»Hasst du mich?«, fragte sie.
»Was bist du auf einmal, sechzehn?«
Sie setzte sich aufs Bett. »Es tut mir leid. Ständig vermassele ich alles, aber Dinge passieren, wenn ich am wenigsten damit rechne, und vielleicht sind meine Fähigkeiten, Entscheidungen zu treffen, im Augenblick nicht die besten.«
»Aber wenn Pete dich morgen wieder anrufen würde, würdest du vermutlich zu ihm fahren.«
»Aber nicht, ohne dich vorher anzurufen«, lenkte Grace kleinlaut ein.
Sam setzte sich neben sie. »Ich glaube, dir ist nicht ganz klar, wie viel Angst ich um dich habe.«
»Ich wünschte, die hättest du nicht.«
»Ständig«, sagte er. »Nicht nur, wenn du losziehst und irgendwelche verrückten Dinge tust, sondern auch, wenn ich weiß, dass du hier bist. Wenn ich glauben sollte, dass du in Sicherheit bist – aber das tue ich nicht, nicht solange die Lage so ist, wie sie ist, und das ist eher meine
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