Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
geraten wollen. Das hatte sie sich schon zweimal geschworen. Einmal in Paris im Alter von zwölf, als sie Prinz Gagga heiraten sollte, und dann vor wenigen Wochen in Berlin. Denn da hatte Will sie nicht nur geküsst und von der Springwarzenlügenpest erlöst …
Nein, bei diesem verfuchst und unvermeidlichen Kuss war etwas noch viel Schlimmeres passiert. Etwas ganz tief in ihrem Herzen. Etwas Warmes und Weiches und genau dieses Etwas , wollte sie noch weniger, als eine Hochzeit mit Gagga.
Deshalb schrie sie jetzt zornig. »Vergesst es! Hört ihr! Ja, ich meine euch beide. Dich, Wilfried Zacharias Karl Otto Stupps, und dich, Blind Black Soul Whistle. Ich denke nicht dran. Ich schließ keinen Bund. Solange ich lebe, tu ich das nicht. Basta! Ich pfeif auf den Bund und diesen Pimpf aus Berlin!«
DU WILLST PIRAT SEIN?
ch pfeife auf dich, oh, ich pfeife auf dich!« Der raue Singsang der Hexe wehte leise und flüchtig durch Wills Gedanken.
Doch er nahm ihn nicht wahr.
»Hörst du mich, Will? Sie will nichts von dir wissen. Du bist nur ein Pimpf.« Es war, als sänge sie in einer fremden Sprache in einer anderen Dimension. »Was meinst du, Karl Otto? Hat sie vielleicht recht?«
Die Hexe schwamm durch den unterirdischen See und glitt dabei flink und anmutig durch das tintenschwarze Wasser.
»Hat sie vielleicht recht?«, wiederholte sie amüsiert, doch Will schien sie immer noch nicht zu hören.
Er lag tief unten im Inneren von Rum Bottle Bottom am Ufer des Sees auf einer Blumen bewachsenen Wiese und blickte durch den über ihn tanzenden Blütenstaub zur Höhlendecke, die Wiese und Wasser wie eine Himmelskuppel umschloss. Sterne schienen auf ihn herab, unendlich viele Sterne. Und ihre Bilder und Formationen verwandelten sich jetzt in die Abbilder von Piraten: nicht in die gewöhnlicher Piraten, nein, sondern in die ihrer Fürsten. Will sah die Gründer von Libertaria. Er sah Whistle und Chen, die atemberaubende Chen und Whistle, den Peste Angelica . Ja, auch Whistle war jung. Er war in Wills Alter und seine himmelhellblauen Augen strahlten auf den bewegten Bildern wie die Augen von Will.«
»Ist Blind Black Soul Whistle auch hier gewesen?«, fragte er ungläubig und setzte sich auf. »Und was war mit Chen?«
»Oh!«, stöhnte Jay-Nice. »Die war eine Zicke.«
Will sah, wie die Hexe mit dem Rücken zu ihm aus dem See stieg und das nachtschwarze Wasser in Perlen aus Silber auf ihrer Haut tanzte. Die schimmerte indigoblau-metallisch, als hätten die Kleider, die sie vor ihrem Bad getragen hatte, sie bis in die Poren mit ihrer Farbe durchtränkt. Ja, und sie war jung …
»Doch Hannah ist schlimmer«, klagte die Hexe. Sie schlang einen Seidenschleier um Körper und Kopf und verbarg ihr Gesicht bis auf einen schmalen Spalt um die Augen.
Will hob den Blick. Er sah Hannahs Bild über sich zwischen den Sternen. Sie war noch ein Kind. Ein fünfzehnjähriges Mädchen, das lachend und glücklich und vom Sturmwind umtost im Krähennest ihres Rochens stand.
»Aber das ist doch nicht möglich«, flüsterte Will.
»Was?«, fragte Jay-Nice und schritt durch das seichte Wasser am Ufer direkt auf ihn zu.
»Du bist viel zu jung. Whistle ist siebzig oder noch älter. Er kann nicht bei dir gewesen sein.«
»Ach ja?«, fragte Jay-Nice, bückte sich beiläufig und zog eine Schwertklinge aus der Erde.
»Hey, einen Moment!« Will schaute sich um. Er bemerkte erst jetzt, dass er nur seine Hose trug. Seine Kleider und Waffen lagen fünfzehn Meter entfernt. »Was machen wir hier?«
»Oh!«, lachte die Hexe. »Ich glaub, es fängt an. Der Smalltalk und das Kennenlernen sind jetzt vorbei. Der Tanz mit dem Teufel hat gerade begonnen.« Sie riss sich den Schleier aus dem Gesicht und entblößte ihr altes Hexengesicht.
Will wurde übel. Er sah ihre langen schiefen Zähne. Die blutunterlaufenen Augen und die unzähligen Falten in ihrem Gesicht, in dem die Haut schlaff an den Knochen hing.
»Heiliger Flitzfliegen …« Will sprang sofort auf und rannte zu seinen Schwertern. Doch die Wiese verwandelte sich in glitschigen Schlick. Er fand keinen Halt und stürzte der Länge nach in den Dreck. Dort sah er Giermaden, die sich neben seinem Gesicht durch die schlammige Erde wühlten, schrie entsetzt auf, schielte zur Hexe zurück, die nur noch wenige Schritte hinter ihm war, und krabbelte panisch vor ihr her, bis er – nach einer schier endlosen Zeit – endlich seine Waffen erreichte.
»Das ist nicht wahr. Das träume ich nur!«, schrie er
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