Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
Ohrfeige und ließen ihr die Tränen in die Augen schießen. »Sie hat uns wenigstens nicht verlassen.«
»Nicht?«, fragte Allison kühl zurück.
War das der entscheidende Moment, der Moment, den beide Schwestern später als den genauen Punkt benennen konnten, in dem unsichtbare Linien der Loyalität in den Sand gezogen und unwiderruflich Seiten gewählt worden waren. Der Moment, in dem sie begriffen hatten, dass sie nicht nur ihre Eltern, sondern auch einander verloren hatten?
Welchen Unterschied machte es, fragte sie sich jetzt und spürte, wie sie in die Gegenwart zurückgerissen wurde. Im Laufe der Jahre hatte sich im Grunde nichts verändert. Allison kämpfte nach wie vor um die Anerkennung ihres Vaters, Val immer noch um die Nüchternheit ihrer Mutter, und beide kämpften auf verlorenem Posten.
»Val?«, drang eine Stimme an ihr Ohr und zerstreute ihre brüchige Familie in alle Richtungen. »Val, alles okay? Was ist los?«
Val blickte zu Jennifer und war kurz überrascht, sie am Steuer ihres Wagens sitzen zu sehen, bevor ihr wieder einfiel, dass sie Jennifers Angebot zu fahren dankbar angenommen hatte. »Nichts. Mir geht es gut. Ich bin bloß frustriert. Das wird schon wieder.«
Sie spürte James’ Hand auf ihrer Schulter. »Und was machen wir jetzt?«, fragte er von der Rückbank, als der Wagen auf den Parkplatz des Campingplatzes fuhr.
»Wir tun, was der Mann gesagt hat«, antwortete Gary. »Wir setzen uns ins Büro und warten.«
»Und wie lange?« Val war schon jetzt rastlos. »Ich kann doch nicht den ganzen Tag hier rumsitzen und darauf warten, dass irgendwas passiert.«
»Ich glaube, wir haben keine andere Wahl«, sagte Gary.
»Ich glaube, da kennst du Val schlecht«, sagte Melissa lächelnd, als sie ausstiegen.
»Vielleicht ist Evan ja inzwischen hier.« Hoffnungsvoll hielt Jennifer Ausschau nach seinem schwarzen Jaguar, der jedoch nirgends zu sehen war. »Ich versuche noch mal, ihn zu erreichen«, sagte sie, als sie das Büro betraten.
Gary blieb zurück. »Ich gucke noch mal nach Hayden.«
»Natürlich«, sagte Val und blickte ihm nach.
Carolyn Murray stand noch immer in ziemlich genau derselben Pose hinter ihrem Tresen wie vor einigen Stunden. Ihr Stirnrunzeln war unverändert, und auch der Kaffeefleck auf ihrer Bluse war noch da. Nur ein leichtes Straffen der Schultern überzeugte Val davon, dass sie nicht aus Holz, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut war.
»Ich fürchte, wir müssen Ihre Gastfreundlichkeit noch ein wenig länger in Anspruch nehmen«, begann Val.
»Ja, ich hab schon gehört. Mike Jones hat angerufen.«
»Ist irgendwas passiert? Hat man meine Tochter gefunden?«
»Soweit ich weiß nicht. Er hat gesagt, er würde sich in regelmäßigen Abständen melden, das heißt, Sie können hier oder in Ihrem Zelt warten. Ich kann Sie holen lassen, wenn er anruft.«
»Wir warten hier«, erklärte Jennifer für sie alle. Zu den verdammten Zelten zurückzukehren war offensichtlich das Letzte, was sie tun wollte. »Darf ich Ihr Telefon noch mal benutzen?«, fragte sie, nahm den Hörer ab und wählte mit der altmodischen Wählscheibe Evans Nummer, ohne Carolyns Erlaubnis abzuwarten. Kurz darauf knallte sie den Hörer angewidert auf die Gabel. »Wieder nur die Mailbox. Hoffentlich bedeutet das, er ist auf dem Weg«, fügte sie wenig überzeugend hinzu.
Val nickte. Ihr fiel eine Reihe von Dingen ein, die das bedeuten konnte, doch es erschien ihr klüger zu schweigen. Jennifer würde auch ohne ihre Hilfe früh genug dahinterkommen.
Und vielleicht war er ja tatsächlich auf dem Weg, überlegte Val. Vielleicht wäre sein letzter Deal tatsächlich beinahe geplatzt, und Evan hatte wirklich rund um die Uhr geschuftet, um ihn zu retten. Und vielleicht raste er in diesem Moment wie ein Irrer die Serpentinen am Prospect Mountain herab, um als Ritter in strahlender Rüstung aus seinem schwarzen Jaguar zu steigen und aller Tag zu retten.
Nur dass sie jetzt schon seit zwei Jahrzehnten darauf wartete, dass er kam, und er war immer noch nicht da. Er machte immer noch Umwege.
Und sie wartete immer noch.
Was war mit ihr los?
Mit dir ist gar nichts los , hörte sie ihre Mutter sagen. Du bist ein starkes Mädchen. Stark genug, um vierundsiebzig Bahnen zu schwimmen. Du wirst mal die ganze Welt beherrschen .
Wann war ihre Welt so klein geworden?
Val lehnte sich an die Wand und überlegte, was sie als Nächstes tun sollte. Sie sah auf die Uhr und dann gleich noch einmal. Noch nicht einmal
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