Das Herz des Bösen: Roman (German Edition)
Evan wirklich nichts, hatte Val begriffen, aber es bedeutete etwas für die Frauen, die sie liebten.
Und wohin führte all deren tapfere Nachsicht?
Nirgendwohin.
Sie wurden trotzdem abserviert.
Ihre Freunde hatten einen kollektiven Seufzer der Erleichterung getan, als Evan ausgezogen war. »Er ist ein Schwachkopf«, hatte ihre beste Freundin Melissa verkündet. »Er hat dich nicht verdient«, pflichtete ihr gemeinsamer Freund James ihr bei. »Glaub mir, so bist du besser dran.«
Ihre Mutter war zu betrunken gewesen, um irgendetwas zu sagen.
Val hatte noch das betroffene Gesicht ihrer sonst stets lächelnden Mutter vor Augen, als ihr Vater ihr erklärt hatte, dass er sie für eine seiner sehr viel jüngeren Eroberungen verlassen würde. »Das hat nichts zu bedeuten. Er kommt zurück«, hatte ihre Mutter Valerie und ihrer jüngeren Schwester Allison versichert. Aber er war nicht zurückgekommen, sondern hatte irgendwann wieder geheiratet und zwei weitere Kinder gezeugt, beides Mädchen, mit denen er die ersetzte, die er so leichtfertig verlassen hatte. Derweil hatte Vals Mutter sich von einer fröhlichen, einnehmenden Frau nach und nach in ein freudloses und verbittertes altes Weib verwandelt, das vor allem in der Flasche Trost suchte. Wollte Val das Gleiche für Brianne?
»Brianne, brauchst du Hilfe?«, rief sie, schloss die Haustür gegen die drückende Julihitze, kehrte an den Fuß der Treppe zurück und strich sich ein paar kinnlange hellbraune Locken aus der feuchten Stirn. Als ließen sich so auch derlei beunruhigende Gedanken beiseiteschieben.
Evan hatte ihr bei der Scheidungsvereinbarung so ziemlich alles zugestanden, wonach sie verlangt hatte – das Haus, den weißen Lexus- SUV , einen beträchtlichen Unterhalt für sie und mehr als großzügigen Kindesunterhalt. Nur wenige Tage nach seinem Auszug aus ihrem großen Haus in Brooklyn war er in Jennifers kleine Wohnung in Manhattan eingezogen, allem Anschein nach nicht im Geringsten mitgenommen.
Ich sollte ihn hassen, dachte Val noch einmal.
Aber man hörte nicht einfach auf, jemanden zu lieben, den man fast sein halbes Leben lang geliebt hatte, nur weil er einen schlecht behandelte, hatte sie festgestellt, unabhängig davon, was man tun sollte. Trotzdem war es unfair, dass eine Frau, die sich anschickte, ihren vierzigsten Geburtstag zu feiern, einem Mann hinterhertrauerte, der sie unverhohlen betrogen hatte. Sie führte sich auf wie ein liebeskranker Teenager, der sich nach dem Einen verzehrte, der mit ihr Schluss gemacht hatte.
Allerdings war er nicht irgendein Mann. Er war seit fast zwanzig Jahren und noch mindestens einen weiteren Monat ihr Ehemann, bis ihre Scheidung rechtskräftig war, auch wenn er schon mit einer anderen verlobt war. Er war die Liebe ihres Lebens, ein Mann, mit dem sie mehrfach um die Welt gereist war, mit dem sie in den Schweizer Alpen zum Helikopter-Ski, in Colorado zum Wildwasser-Rafting und auf dem Gipfel des Kilimandscharos gewesen war. »Die einzige Frau, die mit mir mithalten kann«, hatte er gesagt. Wie oft sie das wohl schon gehört hatte …?
Es war auf einer Wanderung durch die Adirondack Mountains, als sie unvermittelt auf die Knie gefallen war und sie beide mit ihrem Heiratsantrag überrascht hatte. »Was soll’s«, hatte er lachend gerufen. »Das wird bestimmt ein Abenteuer.«
Ein Abenteuer war es auf jeden Fall gewesen, dachte Val und versuchte vergeblich, sich nicht in Nostalgie zu verlieren. Die ersten paar Jahre vor Briannes Geburt waren ein derart berauschender Taumel gewesen, dass es ihr relativ leicht gefallen war, Evans schweifende Blicke zu ignorieren und sich einzureden, sie würde sich das alles nur einbilden. Als sich das als zunehmend unmöglich erwies, hatte sie die Schuld zumindest zum Teil bei sich gesucht und sich bemüht, sich mehr anzustrengen, begehrenswerter, verfügbarer zu sein … all das, was sie offensichtlich nicht war. Und immer wieder erinnerte sie sich daran, wichtig war nur, dass sie diejenige war, die er wirklich liebte, und dass er, egal wie oft und weit er herumstreunte, immer zu ihr zurückkehren würde.
Evan war nicht ihr Vater.
Sie war nicht ihre Mutter.
Der Gedanke ließ Val aufstöhnen. Voller Entsetzen war ihr klar geworden, dass sie in dieselbe Falle getappt war wie ihre Mutter, deshalb war sie umso entschlossener, anders zu reagieren, nicht aufzugeben und mit jeder Faser ihres Seins um ihren Mann zu kämpfen. Nicht einmal von ihrer Schwangerschaft hatte sie sich
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