Das Herz Des Daemons
konnte, dass es tatsächlich einen Ausweg gab. Die Tatsache, dass Julien daran glaubte, machte mir Mut - ebenso wie das »wir«, von dem er gesprochen hatte.
»Genau.« Er zog mich fester an sich. Ganz leicht konnte ich seine Lippen auf meinem Scheitel spüren. Mit einem leisen Seufzen schmiegte ich mich enger an ihn. Seine Nähe und seine Hände halfen mir mich allmählich zu entspannen. Es war, wie er sagte: Wirhatten Zeit. Eine ganze Weile saßen wir so beieinander. Juliens Arm war irgendwann ein Stück abwärtsgerutscht und seine Finger malten jetzt durch meine Jeans hindurch selbstvergessen Kreise auf meine Hüfte und meinen Oberschenkel. Seine andere Hand war mit meiner verschränkt und diente mir als Kissen unter der Wange. Als er sich unvermittelt zum Tisch vorbeugte, ließ ich ein unwilliges Brummen hören.
»Willst du denn gar nicht wissen, was dein Onkel dir mitgebracht hat, damit du die Lamia besser verstehen lernst?« Er streckt sich ein wenig mehr, wodurch ich noch dichter an ihn gedrückt wurde. Einen Moment später platzierte er das
Seidenpapier-Päckchen direkt vor meinem Gesicht auf seinen Knien. »Na, komm schon! Aufmachen!« Ich bekam einen sanften Stoß. Meine Reaktion war ein neuerliches, nicht minder mürrisches Brummen.
»Ich kann nicht«, erklärte ich ihm dann. »Und warum nicht?«
»Meine Hand sitzt fest.« Um zu verdeutlichen, was ich meinte, wackelte ich mit meinen Fingern unter meiner Wange in seinen - und schloss sie fester, als er seine daraufhin zurückziehen wollte, bis er sie wieder entspannte.
»Du hast noch eine - und ich leih dir gerne auch meine zweite.« Wieder ein Stups.
Ich verkniff mir die Bemerkung, dass ich mir eine bedeutend angenehmere Verwendung seiner Hand vorstellen könnte, stieß stattdessen ein abgrundtiefes Seufzen aus, grub meine eigene und den dazugehörigen Arm unter meinem Körper heraus und griff nach dem Päckchen.
»Und dabei heißt es immer, wir Frauen seien neugierig«, nuschelte ich gegen unsere verschränkten Finger. Nicht dass ich auch nur einen Moment damit gerechnet hätte, dass Julien mich nicht verstand. Im Gegenteil. Seine Reaktion war ein weiterer kleiner Stoß. Dann machten wir uns daran, mein Mitbringsel auszupacken. Mit zwei nicht zusammengehörigen Händen den Knoten einer Paketschnur zu lösen, entpuppte sich als Herausforderung. Die Klebestellen loszupulen, die das Papier zusätzlich zusammenhielten, war nicht wirklich einfacher. Zu allem Überfluss gab es nicht nur eine Seidenpapier-Klebestreifen-Lage. Binnen Kurzem lag ich kichernd auf Juliens Schoß, während er sich mit geheuchelter Verzweiflung über meine Unfähigkeit im Geschenkeauspacken ausließ. - Wenn es darum ging, mich aufzumuntern, konnte er äußerst effektiv sein. - Schließlich verlegte ich mich darauf, das Seidenpapier in Streifen abzureißen, während Julien einfach nur festhielt. Schon nach der ersten Papierlage war abzusehen, worum es sich bei dem Inhalt des Päckchens handelte: um ein Buch. das aber nicht gerade den üblichen Formaten entsprach. Doch dann legten wir es endgültig frei und Julien wurde mit einem Mal sehr, sehr still.
»Was ist?« Irritiert richtete ich mich auf die Ellbogen auf. Abgesehen davon, dass er mich von seinem Schoß
schob, beachtete er mich gar nicht, sondern beugte sich mit einem ungläubigen »Das gibt es nicht!« noch weiter vor und begann das Buch aufzublättern. Ich beobachtete ihn mit einer Mischung aus Sorge und Verwirrung dabei, wie er Seite um Seite umschlug, mit den Fingern darüberglitt und immer wieder »Das gibt es nicht!« murmelte. Schließlich sah er mich doch wieder an.
»Weißt du, was das ist?«, fragte er mit unüberhörbarer Ehrfurcht in der Stimme.
Ich schielte auf die Seiten, die mit etwas beschrieben waren, das für mich wie griechisch aussah, und schüttelte vorsichtig den Kopf. »Ich kann das nicht lesen.«
»Aber ich! - Das hier«, er legte die Hand gewichtig auf das Buch, »ist ein Gesetzeskodex der Lamia. Ein sehr alter Gesetzeskodex.«
Auf meinem Gesicht musste sich reines Unverständnis abzeichnen. Doch Julien warf den Kopf zurück und lachte.
»Das hier ist der Schlüssel!« Ungestüm stand er auf, offenbar von einer Sekunde auf die nächste unfähig, noch länger still zu sitzen, und blickte auf mich herab. »Wenn ich deinen Großonkel das nächste Mal sehe, muss ich mich bei ihm entschuldigen.« Mit beiden Händen fuhr er sich durch die Haare. »Nein, ich gehe vor ihm auf die Knie und küsse den
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