Das Herz des Ritters
kalt und heftig. »Oh Gott, Zahirah.«
Er ließ den Jungen los und folgte ihm und seinen beiden Freunden in vollem Lauf durch das Gedränge auf der Straße. Nicht wenige murmelten Flüche oder sahen ihm empört nach, als er, ein Christ, dem es verboten war, sich an heiligen muslimischen Orten aufzuhalten, sich seinen Weg durch den Torbogen der Moschee bahnte. Er stürzte in den von der Sonne überfluteten Hof und suchte mit raschem Blick nach dem Ort des Verbrechens. Er war leicht genug zu finden.
Am anderen Ende des offenen Säulenganges, der den Hof und das Hauptminarett umgab, drängte sich das Volk. Menschen liefen hin und her, einige weinten, andere murmelten Gebete, wieder andere waren stumm vor Entsetzen. Mit der Hand das Heft seines Schwertes umfassend, ging Sebastian weiter, ohne den Sarazenen Beachtung zu schenken, die ihm verärgerte Blicke zuwarfen, als er mit den Stiefeln über heiligen muslimischen Boden trampelte. Er schob sich in die erste Reihe der Zuschauer vor und fluchte, als er die Blutlache zu ihren Füßen entdeckte. Es war dunkelrot, fast schwarz. Blut aus einer Lebensader, und viel zu viel davon.
Himmel hilf, hoffentlich war es nicht …
»Zahirah.«
Das Herz wurde ihm schwer, und der Atem stockte ihm, als er das ganze Ausmaß der Tragödie gewahrte. Zahirah sah hoch, als er ihren Namen nannte, doch ihr leerer Blick verriet nicht, ob sie ihn erkannt hatte oder nicht. Sie saß auf dem Boden, die Wangen nass von Tränen, ihr Schleier war feucht und verrutscht und voller Blutflecken. Abduls Kopf ruhte in ihrem Schoß. Mit blicklosen Augen schaute er zu ihr auf, unbewegt, erstarrt, die Lippen im Tod erschlafft.
Es war sein Blut. Es lief immer noch aus einer tiefen Wunde in seiner Brust, hatte die Vorderseite seiner Kleidung und den Boden unter ihm gefärbt. Auch Zahirah war überall mit Blut besudelt; es fand sich auf dem Oberteil ihrer Tunika und an ihren Händen und Ärmeln, als hätte sie sich über Abdul gebeugt und versucht, den Blutfluss zu stillen. Doch die Wunde war zu schwer; sie hätte ihn nicht retten können. Nichts hätte ihn retten können.
Und nichts würde den Schurken retten können, der ihn ermordet hatte, schwor sich Sebastian.
»Wer hat das getan?«, fragte er in die Menge. Aus Trauer um seinen Freund kamen ihm die arabischen Worte nur stolpernd über die Lippen. »Hat jemand gesehen, wer ihn ermordet hat? Sprecht jetzt, oder ich schwöre euch, ihr werdet Schlimmeres erleiden als dieser gute Mann.«
Niemand antwortete. Mit einem knurrenden Laut zog Sebastian seine Waffe. Erschreckt wichen die Menschen zurück, als er die Klinge auf einen der wenigen Muslime richtete, die es wagten, ihn verächtlich anzustarren. War der Mann am anderen Ende der Klinge Abduls Mörder? Er lauschte der Litanei von Gebeten, die der Mann anfing zu murmeln, und es war ihm gleich, ob dies ein Hinweis auf seine Schuld war oder nicht. Zu groß war sein Zorn, zu stark das Verlangen, aus Rache Blut zu vergießen.
»Gott verflucht«, rief er in seiner eigenen Sprache. Sein zorniges Bellen veranlasste selbst mehrere der größeren Männer, aus Vorsicht einen Schritt rückwärts zu tun. »Jemand muss doch irgendetwas gesehen haben. Wer hat das getan? Wer ist dafür verantwortlich?«
»Ich.«
Zahirahs Stimme war kaum lauter als ein Flüstern. Sebastian blickte sie über die Schulter hinweg an. Als er ihren schmerzvollen Blick bemerkte, furchte er die Stirn. Sie schüttelte den Kopf und blinzelte die Tränen fort, die erneut ihre Augen füllten und über ihre Wangen rannen. »Allah möge mir vergeben, aber ich … ich bin schuld an Abduls Tod. Ich hätte niemals … Er hat versucht, mich zu beschützen … Ich habe versucht, ihn aufzuhalten …«
Sie sackte zusammen, kaum dass die Worte ihren Mund verlassen hatten. Das Kinn auf die Brust gesenkt, brach sie in hemmungsloses Schluchzen aus. Als er Zahirahs Kummer gewahrte, schwand Sebastians Wut. Er senkte die Waffe, steckte sie in die Scheide zurück und kniete sich neben sie.
»Nein, Mylady«, sagte er sanft, aufgewühlt von Schuldgefühlen und Sorge. Zu gern hätte er sie tröstend in seine Arme geschlossen, doch zu viele Leute gafften sie an. Zudem war er sich nicht sicher, ob Zahirah seinen Trost nach dem Vorfall im Badehaus annehmen würde. Außerdem wurde ihm klar, dass er seltsamerweise ebenfalls Trost benötigte. Abduls Tod und der Gedanke, dass auch Zahirah in Gefahr geschwebt hatte, erschütterten ihn zutiefst. Nur mit Mühe gelang
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