Das Herz des Satyrs: Roman (Knaur TB) (German Edition)
Opal in ihren Besitz bringen. Wenn ihr Plan von da an funktionierte, würde sie die anderen Vestalinnen aus den Klauen von Pontifex befreien.
Erst dann würde sie vielleicht hierher zurückkehren. Und eines Tages wahrhaftig zu diesem wundervollen Mann gehören, und er zu ihr.
Scena Antica IX
391 n. Chr.
Forum Romanum
Eine Hand rüttelte Silvia und Michaela in ihrer Schlafnische wach. Es war Aemilia, die sie aus dem Bett scheuchte. Draußen vor dem Fenster herrschte tintenschwarze Nacht, nur in der Ferne waren Fackeln zu sehen wie Punkte.
»Was geschieht da?«, fragte Silvia alarmiert.
»Sie zerstören unsere Tempel«, flüsterte das Mädchen mit angstvollem Blick.
»Ich habe dich gewarnt, dass dieser Tag kommen würde!«, rief Michaela, während sie beide aus dem Bett sprangen.
Floronia stieß in der Schlafnische zu ihnen, die Augen weit aufgerissen. »Sie lösen alles auf. Beenden alle heidnischen Kulte. Sie wenden sich von den alten Göttern ab. Und Vesta ist sicher die Nächste.«
»Was sollen wir tun?«, fragte Aemilia mit zitternder Stimme.
Silvia umarmte sie flüchtig. »Es wird alles gut, cara . Kommt, lasst uns die anderen zusammenholen. Wir nehmen die Feuersteine und fliehen.«
Augenblicke später waren alle zwölf Vestalinnen vom Haus zum Tempel geeilt, nur in ihre Untergewänder gekleidet. Das Geräusch umstürzender Säulen und das Geschrei der Menge in der Ferne waren furchterregend.
Gemeinsam stiegen sie die Stufen zum Tempel hinauf. Jede nahm ihren Opal von Vestas Herd und hielt ihn fest umklammert, während sie gemeinsam zusahen, wie das Feuer erlosch.
Dann fragten alle durcheinander: »Wo sollen wir die Steine verstecken? Wohin sollen wir gehen? Wie werden wir leben?«
Occia wies mit der Hand auf den Mob, der sich in ihre Richtung bewegte. »Ihr Närrinnen, glaubt ihr, sie werden uns einfach gehen lassen? Wir stehen für alles, was sie zerstören wollen. Wir wären eine ständige Erinnerung an die Vergangenheit und die heidnische Religion. Nein – sie werden uns vor Gericht bringen und öffentlich zur Schau stellen, und dann werden sie uns am Collinischen Tor auf dem Campus Sceleratus lebendig begraben!« Einige Mädchen begannen zu schluchzen.
»Beruhigt euch«, schalt Michaela.
»Lasst uns vorerst auseinandergehen und vereinbaren, dass wir uns in einer Woche an einem Meilenstein treffen«, schlug Silvia vor.
»Oder wir könnten in die Anderwelt gehen und uns dort dem Tempel anschließen«, meinte Aemilia.
»Wie denn?«, spottete Occia. »Das Tor zwischen den Welten liegt in der Toskana, Hunderte Meilen von hier entfernt. Nein, ich gehe auf eigene Faust los, und zwar sofort. Zu den Höllen mit euch.« Doch als sie sich zum Gehen wandte, sah sie, dass es zu spät war. Der Mob hatte sie erreicht, einige Männer waren schon auf den Stufen.
»Seht! Vestas Feuer ist zurückgekehrt!«, rief da Floronia. Daraufhin sahen alle Vestalinnen gleichzeitig zum Herd und keuchten auf, da die Flamme wieder hell brannte.
»Das verstehe ich nicht. Dadurch, dass wir die Steine an uns nahmen, wurde das Feuer doch ausgelöscht«, sagte Michaela.
»Aber jetzt brennt es wieder«, flüsterte Silvia staunend. »Es ist ein Wunder.«
Und dann sprang Vestas heilige Flamme aus dem Becken, hüllte den Tempel ein und umschloss sie alle mit einer Feuerwand, die den Mob mit seinem Hass in Schach hielt. Der Tempel füllte sich mit Rauch. Die Vestalinnen drängten sich eng aneinander und atmeten den Rauch ein, hustend und würgend.
»Irgendetwas geschieht mit mir«, flüsterte Licinia plötzlich. Sie klang entsetzt.
Silvia sah sie an und bemerkte fassungslos, dass Licinias Gestalt flackerte und verschwamm. Einen Augenblick lang war sie so weiß wie eine Statue – und dann plötzlich durchscheinend wie ein Geist. Silvia sah an sich selbst herab und erkannte, dass mit ihrem eigenen Körper dasselbe geschah, und mit den anderen auch.
»Lauft!«, schrie Michaela und nahm sie an der Hand. Noch bevor das, was da geschah, vollendet war, flohen Silvia und Michaela mit ihren Steinen. Im allgemeinen Durcheinander rannten sie durch die Vordertür ins Haus der Vestalinnen, in der Absicht, durch die Hintertür zu entfliehen.
»Meine Finger werden schwächer. Ich kann den Stein nicht mehr lange festhalten«, jammerte Michaela, während ihre Körper immer durchscheinender wurden.
»Gib ihn mir«, sagte Silvia. Schnell versteckte sie beide Feuersteine in den Händen von Vestas Statue. »Bewahre sie sicher«,
Weitere Kostenlose Bücher