Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
warum die Besucher hier waren und wie die Löwin Angel gerettet hatte.
Wie auf ein Stichwort kam Angel zurück in die Esshütte. Sie begrüßte Samu und berührte leicht seinen Kopf mit der Hand, während er sie interessiert musterte. Anschließend trat sie zu Emma an den Tisch. Gedankenverloren rührte sie mit dem Finger in der Saftpfütze. George warf Emma einen vielsagenden Blick zu. Es dauerte einen Moment, bis Emma verstand, was er ihr sagen wollte, aber dann fiel es ihr ein – sie waren übereingekommen, dass sie nach dem Morgentee mit Angel besprechen wollten, wie es weitergehen sollte. Alle waren sich einig gewesen, dass Emma mit ihr sprechen sollte, während Daniel und George dabeisaßen. Emma nickte George unmerklich zu. Nach ihrem Redeschwall eben fühlte sie sich wie ausgelaugt, aber sie wusste, dass sie das Gespräch mit Angel nicht aufschieben konnte.
»Setz dich bitte, Angel«, sagte Emma. »Wir müssen mit dir reden.«
Angel zog sich ihren Stuhl heran und setzte sich. Auch Daniel trat an den Tisch und nahm seinen Platz neben George ein. Emma wappnete sich innerlich. Das Kind saß aufrecht da, die Hände vor sich auf dem Tisch gefaltet, und schaute Emma erwartungsvoll an.
»Angel, dein Onkel ist aus England gekommen«, begann Emma. »Er ist in Arusha.«
Angel erstarrte, sagte aber nichts.
»Kennst du ihn?«, fragte Emma.
Angel zuckte mit den Schultern. »Ich weiß, dass ich einen Onkel habe, aber ich habe ihn noch nie gesehen.« Eine Weile schwieg sie, dann sprudelte sie hervor: »Ich will nicht bei ihm in England leben. Das habe ich Laura auch gesagt. Mir ist egal, ob er ein großes Haus am Meer hat. Ich will hierbleiben.«
»Hat deine Mutter denn mit dir darüber geredet, dass du in England leben sollst?«
»Sie hat gesagt, wenn ihr etwas passiert, würde sich mein Onkel um mich kümmern. Sie hat seinen Namen in ihren Pass geschrieben.« Angels blaue Augen funkelten. »Ich habe ihn weggeworfen.«
»Die Polizei hat ihn gefunden«, warf Daniel ein. »Sie haben ihn uns gezeigt.«
Angel presste die Lippen zusammen. »Ich will in Tansania bleiben – damit ich bei Moyo und den Kamelen sein kann. Ich will meinen Freund Zuri und die Nonnen besuchen können. Und ich muss zu Walaitas manyata gehen, wie Laura es versprochen hat.« Trotzig hob sie das Kinn. »Ich kann nicht nach England fahren.«
Emma warf George und Daniel einen Blick von der Seite zu. Keiner von ihnen sagte etwas; sie hielten sich an die Vereinbarung, das Gespräch ihr zu überlassen. Emma räusperte sich. »Anscheinend hat deine Mutter deinen Onkel zu deinem Vormund bestimmt.«
»Ich will keinen Vormund haben.«
»Das musst du aber leider, Angel. So will es das Gesetz. Kinder müssen jemanden haben, der für sie verantwortlich ist.«
Angel lächelte. »Dann will ich dich zum Vormund.«
Emma glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen, aber sie sah Angel an, dass sie ihre Worte ernst meinte.
»Ich könnte hier im Camp bleiben und George Lawrence und Ndisi helfen. Du brauchtest mich nur ab und an zu besuchen und so zu tun, als seiest du meine Tante«, fügte Angel eifrig hinzu. »Oder ich könnte mit dir und Daniel und den Kamelen in der Station wohnen. Das ist mir egal, solange ich nicht nach England muss.« Hastig redete sie weiter, als habe sie Angst vor der Reaktion der anderen. »Wir könnten alle zusammen auf Safari gehen. Ich könnte euch zu Walaitas manyata, zum Feigenbaum-Dorf und zu den Barmherzigen Schwestern mitnehmen.«
»Warte, stopp«, sagte Emma. »Du kannst nicht hierbleiben, Angel, weder im Camp noch in der Station.«
»Aber ich könnte euch wirklich helfen. Ich kann kochen. Ich kann Töpfe spülen. Ich kann viele Dinge.« Angel verzog das Gesicht. Sie wirkte auf einmal kleiner. Leise fuhr sie fort: »Hast du das nicht gesehen? Ich habe es dir doch gezeigt.«
Emma biss sich auf die Lippe. Enttäuschung zeichnete sich auf dem Gesicht des Kindes ab, und auch so etwas wie Furcht. »Angel, du bist wirklich ein braves Mädchen, das viele Dinge kann. Du bist ganz wundervoll. Aber du verstehst nicht. Ich lebe nicht in der Station. Ich bin nur zu Besuch.« Emma hatte das Gefühl, auch mit Daniel und sich selbst zu sprechen – sie hatte die Idee, in Tansania zu bleiben, doch schon wieder aufgegeben. »Ich fahre bald nach Hause. Nach Australien.«
Angel zuckte erschrocken zusammen. Als sie schließlich etwas sagte, klang sie so, als sei sie wütend auf sich selbst, so als hätte sie sich ein Fehlurteil erlaubt.
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