Das Herz einer Löwin: Roman (German Edition)
sie spürte, dass es ihm genauso ging. Die Erfahrungen, die sie heute gemacht hatten – so tiefgreifend, wie sie viele enge Freunde in einem ganzen Leben nicht machten –, hatten sie zusammengeschweißt. Sie hob ebenfalls ihre Flasche.
»Prost.«
»An diesen Geburtstag werden Sie noch lange denken«, sagte Daniel. »Abendessen im Salaam Café … Ich muss mich entschuldigen, dass es keinen Kuchen gibt!«
Emma lachte. »Nein, das ist schon okay. Ich esse sowieso keinen Kuchen.«
Daniel zog die Augenbrauen hoch. »Ich bin noch nie jemandem begegnet, der Kuchen nicht mag.«
Emma überlegte, ob sie ihm erklären sollte, dass sie Kuchen zwar mochte, es aber grundsätzlich vermied, Süßigkeiten zu essen, entschied sich jedoch dagegen. Stattdessen trank sie einen Schluck Bier. Lieber erzählte sie Daniel noch ein bisschen mehr darüber, warum sie hier war.
»Ich habe mir selbst versprochen, in dem Jahr, in dem ich zweiunddreißig werde, nach Tansania zu fahren und die Forschungsstation zu besuchen. Das war das Alter, in dem Susan gestorben ist.« Die Worte strömten wie selbstverständlich aus ihr heraus, nachdem sie einmal zu erzählen angefangen hatte. »Ich dachte, wenn ich die Station mit eigenen Augen sehe, hilft es mir vielleicht irgendwie, sie zu vergessen. Damit alles ein Ende findet und ich aufhören kann, Susan zu vermissen und ständig an sie zu denken. Das müsste doch möglich sein.«
Sie verstumte und blickte Daniel forschend an. Sie wartete auf den Ausdruck von Mitleid oder Verwirrung. Schließlich war Susan schon seit langer Zeit tot. Wie konnte sie da davon reden, dass sie sie vermisste?
Aber Daniel schüttelte nur den Kopf. »Sie war Ihre Mutter. Sie hat Ihnen das Leben geschenkt. Sie sollten nie aufhören, an sie zu denken.«
Emma blickte auf den Tisch und fuhr mit dem Finger um die runden Flecken herum, die Gläser und Flaschen auf der einst lackierten Oberfläche hinterlassen hatten. Bei ihm klang es so einfach. Sie sollte nicht einmal versuchen, Susan zu vergessen. Seine Worte erleichterten sie, so als hätte er ihr erlaubt, eine fast unmögliche Erwartung aufzugeben. Dann jedoch kam ihr Simon in den Sinn. Sie wusste, dass er anderer Meinung war als Daniel. Er hatte Emma abgeraten, mit einer Psychotherapeutin über ihre Mutter zu sprechen – er fand, es würde ihr nichts bringen, wenn sie immer wieder über die Vergangenheit sprach. Er hatte sogar versucht, Emma zu überreden, die Tasche mit Susans Habseligkeiten, die sie hütete wie einen Schatz, wegzuwerfen. Und als er herausgefunden hatte, dass Emma Susans altes Hochzeitskleid anprobiert hatte, war er beinahe ärgerlich geworden. Er reagierte auf seine eigene unglückliche Vergangenheit – eine Kindheit, in der er zwischen seinen streitenden, verbitterten Eltern hin- und hergerissen gewesen war –, indem er ihr den Rücken zuwandte. Mit seiner Familie hatte er so gut wie keinen Kontakt mehr; er behauptete, jetzt endlich frei zu sein. Auch Emma sollte so frei sein – und er glaubte, dass sie nur aus diesem Grund diese Reise unternahm. Bei dem Gedanken stieg Schuldbewusstsein in Emma auf. Sie kam sich vor, als hielte sie eine Vereinbarung nicht ein. Aber sie wusste auch nicht genau, ob Simons Ansatz falsch war. Solange sie Susan nicht vergessen konnte, würde sie dieses nagende Gefühl des Verlusts mit sich herumtragen, ein schweres Gewicht in sich spüren. Sie war hin- und hergerissen zwischen dem Bedürfnis, sich zu erinnern, und dem Wunsch, zu vergessen.
»Sie bewundern Ihre Mutter.« Emma hob den Kopf, als Daniel weiterredete. Es klang wie eine sachliche Feststellung. »Sie sind in ihre Fußstapfen getreten. Sie sagten doch, Sie würden in der Medizinforschung arbeiten, genau wie sie.«
»Ja, schon, aber ich bin überhaupt nicht wie sie. Ich könnte nie so kurzfristig auf Exkursionen gehen und an so entlegenen Orten arbeiten. Sie war sehr mutig.« Emma blickte Daniel eindringlich an. »Sie sind auch mutig, weil Sie in diesem Labor in der Station arbeiten. An unserem Institut haben wir lediglich mit Virenproben Level vier in einem PC4-Labor zu tun. Wir haben eine Luftdruckkammer mit negativem Druck, und ich trage einen Schutzanzug mit Lufttank. Bevor ich die Kammer verlasse, schrubbe ich mich unter der heißen Dusche ab.«
Daniel lächelte wehmütig. »Die Angst vor dem Olambo-Fieber ist nicht unser großes Problem. Wir würden uns freuen, wenn wir es endlich einmal kennenlernen würden.«
»Wie meinen Sie das?«
»Unser
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