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Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz von Veridon: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Akers
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Stiefels so heftig gegen den Käfig, dass die dünne Frostschicht zerbarst und in dicken, weißen Flocken zu Boden rieselte. Sie lachte. »Sei still! Mein Vater war außer sich, untröstlich. Er gab mir die Schuld, der Akademie, meiner Mutter … jedem außer sich selbst und der Kirche. Du hast ja nicht die leiseste Ahnung, wovon du redest!«
    »›Nehmt meinen Sohn‹«, höhnte ihre Stimme. »›Er wird es nie erfahren. Dafür sorge ich.‹«
    Nackte Wut zerriss mich förmlich. Meine Hand zitterte, war weiß. »Das hätte er nie gemacht. Nicht mit seinem Sohn. Nicht mit mir.«
    »Sag mir noch einmal, Jacob, dass es diese Stadt verdient, zu leben. Sag mir, dass sie es nicht verdient, diese Wut zu schmecken. Der Rat, die Kirche … deine Familie. Sie alle wussten es. Wie hat dich die Stadt behandelt, Jacob? Gut?«
    Ich starrte sie an. Die Blamage für meine Familie hatte ich vor langer Zeit als unabwendbar akzeptiert. Mit meiner Verbannung hatte ich mich erst unlängst abgefunden. Zu erfahren, dass dahinter Absicht stand, dass mein Vater meine Zukunft verkauft hatte, um sich die Gunst der Kirche zu erschleichen, die er angeblich so verachtete … das war zu viel. Es war zu viel.
    »Vergiss deine Familie. Räche dich an Veridon, Jacob. Dieser Ort hat dich genauso benutzt wie mich. Ihm liegt nichts an dir. Nimm das Herz und lass dich von ihm verändern. Lass dich von ihm zu der Vergeltung machen, die diese erbärmliche Stadt verdient.«
    Ich sah sie an, gebrochen und zerlegt in ihrem Käfig. Ich sah mich an derselben Stelle, ein Werkzeug der Kirche, mein Leben geraubt, um der Stadt zu dienen, um sie zu nähren, um mich erst zu benutzen und dann fallen zu lassen. Emily rührte sich.
    »Das werde ich nicht tun«, sagte ich. »So etwas will ich nicht werden.«
    »Vielleicht doch. Das kann man nie wissen.«
    Ich verzog das Gesicht. Die Luft war plötzlich heiß geworden. Emily schlug flatternd die Augen auf. Unverhohlen bestürzt starrte sie Camilla an.
    »Sie kommen«, sagte diese. Ich wirbelte erst zu ihr herum, dann zur Tür. Ich vernahm Schritte.
    »Wir müssen hier raus«, sagte ich und hob Emily hoch. Sie war schwerer geworden – viel schwerer. Sie versuchte zu sprechen, aber ihre Stimme schien verschwunden zu sein.
    »Hinter dir«, sagte Camilla. »Ich habe Freunde. Sie werden dich führen.«
    Ich drehte mich um. Ein Blech im Boden glitt auf. Schwarzes Wasser klatschte gegen das Metall, schwappte auf die Frostschicht. Zwei bleiche, aufgedunsene Hände schoben sich aus der Dunkelheit. Ein Mann hievte sich in den Raum.
    »Camilla«, sagte er traurig.
    »Erschaffer Morgan.« Ihre Stimme klang ausdruckslos.
    Er nickte, dann ergriff er meine Hand und führte mich zum Wasser.
    »Ich kann dich zum Fluss bringen, Jacob. Weiter nicht. Ich darf nicht in diese Geschichte verstrickt werden.«
    »Was machen Sie hier?«, fragte ich.
    »Alte Verbrechen, mein Freund.« Verdrießlich sah er mich an, dann lächelte er verkniffen. »Alte Sünden. Komm mit.«
    Wir gingen ins Wasser. Die Strömung unter meinen Füßen war stark. Der Fluss packte mich mit einer Hand aus tausend winzigen, flachen Würmern und riss mich fort. Ich bewegte mich wie in einem Traum. Was ich in jener Zeit atmete, wusste ich nicht, aber als ich die Oberfläche erreichte, waren meine Lungen schwer vor Wasser, und im Mund hatte ich den Geschmack der Fäulnis von Sümpfen. Es waren die Fehn, jener nasse Geist, der sich durch den Schlamm des Reines wand, die flachen Würmer der Fehn, die uns durch die Tiefen des Flusses halfen.
    Das Wasser teilte sich über meinem Kopf, und ich begann, wild zu treten und zu zucken. Rings um mich herrschte schwaches Licht, und die Luft roch nach verrottetem Holz und abgestandenem Abwasser. Ich beobachtete, wie Emily aus den Wogen aufstieg, getragen von einer Wolke aus schleimigem, schwarzem Matsch, der sich auflöste, als ich sie in die Arme nahm. Ich begann, wie wild zu schwimmen, verlor den Kampf jedoch gegen Emilys neues Gewicht und den Fluss.
    Meine Hand klatschte gegen Holz, und ich sah mich um. Wir befanden uns unter der Stadt, unter der Wasserstraße in jenem Teil des Reines, der unter den Straßen und Häusern des Bewässerungsviertels hindurchströmte.
    Ich zog mich an einem Seil hoch, das vom Pier hing, dann bückte ich mich und zerrte Emily auf die Planken. Ich tat, was ich konnte, tat, woran ich mich noch aus meiner Zeit in der Akademie erinnerte. Emily erbrach einen langen, klaren Strom von Wasser, dann lag sie da –

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