Das Herz von Veridon: Roman (German Edition)
Marmor betrat. Das Treppengeländer, das ich an dem Tag zerstört hatte, an dem ich davonging, hatte man ordentlich repariert. Es war der Tag gewesen, an dem sich alles geändert hatte.
»Master Burn ist in der Bibliothek, sammelt seine morgendlichen Gedanken und nimmt das Frühstück zu sich. Er wird sich Ihnen in Kürze widmen.«
»Danke, Billy.« Ich gab ihm meine Jacke, nicht jedoch mein Halfter. Billy nahm es missbilligend zur Kenntnis, doch das war in Ordnung. In meiner Gegenwart zeigte sich Billy immer missbilligend. Er verschwand.
Der Turm wirkte ziemlich unverändert. Älter vielleicht. Leerer. Er erinnerte mich an einen Laden, der Mühe hat, genug Umsatz für die Miete zu erzielen. Der verkaufte, was er an Beständen besaß, aber außerstande war, das Lager aufzufüllen. Der darauf hoffen musste, dass ein verzweifeltes Wagnis einträglich sein und die Wende herbeiführen würde. Der in Zeitlupe verfiel.
»Junge«, sagte Alexander Burn, als er eintrat. Er wischte sich die Hände an einer verdreckten Serviette ab. An den sorgfältig gestutzten Enden seines Schnurrbarts prangte Fett von Speck. Sein Haar war schwarz gefärbt. Und immer noch voll, aber um welchen Preis. »Hab dich lange nicht mehr in der Gegend gesehen. Bist du vielleicht hier, weil du um Taschengeld betteln willst?«
»Selbst wenn es so wäre, sieht nicht so aus, als könntest du mir welches geben.« Ich sah mich im Raum um. »Nett von Billy, dass er mir aufgemacht und erlaubt hat, dich beim Essen zu stören. Hoffst du, dass ich dir ein Darlehen anbiete?«
»Vorsicht. Du bist hier wenig mehr als ein Gast, Jacob.«
Ich steckte die Hände in die Taschen und drehte eine Runde durch den Raum. Er beobachtete mich beim Gehen und kaute die Reste seines Frühstücks.
»Verrätst du mir, weshalb du hier bist?«, fragte er. »Oder wolltest du nur mit dieser auffallend kitschigen Pistole protzen und mir deinen neuen Lebensstil unter die Nase reiben?«
Lächelnd drehte ich mich ihm zu. »Willst du mich den ganzen Tag hier in der Eingangshalle stehen lassen? Vater?«
Er verzog das Gesicht, wischte sich die Finger mit einer übertrieben heftigen Geste ein letztes Mal ab und warf die Serviette auf einen leeren Kleiderständer.
»Na schön. Hier rein. Williamson, einen Kaffee. Jacob?«
»Natürlich.«
»Zwei, Williamson«, sagte er und verließ den Raum.
»Danke, Billy«, raunte ich über die Schulter, bevor ich dem älteren Burn in den Ballsaal folgte.
Der Raum präsentierte sich voll ausstaffiert. Palmzweige und Glasperlen zierten die Wandleuchter, bunte Stoffe verhüllten die Wände. Von der Decke hing ein großer Automat der Art, die in vollem Betrieb eine langsame, synkopierte Geschichte erzählten. Auf allem lag eine dicke Staubschicht, sogar auf den Schalen mit Wachsfrüchten und dem Großteil der Bodenfläche. Ich erinnerte mich vage daran, dass die Familie im vergangenen Jahr einen Ball zum Bettlertag veranstaltet hatte. Vielleicht hoffte mein Vater, die Dekoration im nächsten Jahr erneut zu verwenden. Oder er konnte sich die Arbeiter nicht leisten, um sie entfernen zu lassen.
Als ich ging, hatte der Abstieg des Hauses gerade erst begonnen. Meine Kindheit war von alltäglichem Wohlstand geprägt. In jenen Tagen der Sommersitze und ausufernden Mahlzeiten hatte noch nichts auf dieses Ende hingedeutet. Aber wenn ich zurückdachte – vielleicht waren die Anzeichen doch schon damals vorhanden gewesen, die ersten verzweifelten Zuckungen eines sterbenden Hauses.
Am großen Fenster standen nicht zueinanderpassende Stühle in einem engen Kreis. Etwas abseits befanden sich ein Zeitungsständer und ein Servierwagen mit den inzwischen kalten Überresten des Frühstücks. Also diente der Raum nunmehr als Bibliothek. Ich fragte mich, wie die eigentliche Bibliothek mit ihren Wänden aus dunklem Holz und Ledereinbänden aussehen mochte. Aß mein Vater hier, damit er all die leeren Regale nicht sehen musste?
Alexander zeigte auf einen Stuhl, dann setzte er sich. Ich nahm auf einem anderen Stuhl Platz und streckte die Füße zum Servierwagen aus. Nach wenigen Minuten, die wir damit verbrachten, uns mit finsteren Mienen über Banalitäten zu unterhalten, brachte Billy Kaffee. Guten Kaffee.
»Worum geht es also?«, fragte mein Vater und hämmerte mit seinem Löffel in der Tasse herum, während er den Zucker umrührte.
»Erzähl mir vom Rat«, forderte ich ihn auf.
»Entwickelst du endlich Interesse an deinem Namensrecht? Das ist zwar schön, kommt
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