Das Hexenmal: Roman (German Edition)
das Kloster vorgezogen und liebend gern die Nächte mit Beten verbracht hätte. Denn Burghard war ebenso ein Gefangener wie die vermeintlichen Hexen. Zwar wurde ihm kein Schmerz zugefügt, doch Servatius würde dafür sorgen, dass das Leid der Hexen auch zu Burghards Leid würde. Wie bereits mehrfach zuvor würde der ältere Mönch von ihm verlangen, dass er den Hexenprozessen beiwohnen müsse, und zwar aus dem einzigen Grund, da er wusste, dass der Junge keiner Fliege etwas zuleide tun konnte und die Schreie der gefolterten Frauen ihn noch Wochen später verfolgten. Zwar verstand Burghard, dass die angeklagten Frauen nur unter der Tortur geständig waren und sie deshalb vonnöten war, trotzdem wäre er ihr lieber ferngeblieben. Zumal er dabei stets an die schwangere Marie denken musste. Sein Schwermut wuchs mit jedem Tag, wusste er doch nicht, wie er sich dem wachsenden Hexenwahn seines Bruders Servatius entziehen konnte.
Der junge Mönch schielte unter seiner Kapuze hervor und erkannte, dass sie am Rathausplatz entlanggingen. Ihre Ankunft in einer neuen Stadt verlief jedes Mal nach einer Art Ritual, das Barnabas strikt befolgte. Der Magier schritt durch das eine
Stadttor in die Stadt hinein, überquerte stets den Rathausplatz und Marktplatz, damit er sichergehen konnte, dass auch wirklich alle Stadtbewohner seine Ankunft zur Kenntnis nahmen. Dann ging er durch das andere Stadttor wieder hinaus zu dem Platz, den man Reisenden in jedem Ort zuwies und der außerhalb des Stadtkerns lag. Innerhalb der Stadtmauern wollte man sie nicht dulden, und so mussten die Mönche und der Magier auch in Worbis ihr Lager auf dem Feld aufschlagen.
Die beiden Mönche bauten das kleine Zelt auf, in dem sie nächtigten und in dem Barnabas seine Heilkunst zum Besten geben wollte. Servatius würde bereits vor dem Zelteingang den Leuten das Geld abnehmen und jeden fortschicken, der nicht bezahlen konnte. Burghard musste die Summen aufschreiben, damit Servatius den Magier nicht betrügen konnte. Durch diese Arbeitsaufteilung gelang es Barnabas, mehr Menschen zu behandeln. Nicht jeder Kranke verfügte über Geld, einige bezahlten mit Naturalien. Auch dies war den Reisenden willkommen, und manches Suppenhuhn landete in ihrem Topf.
Kaum war das Zelt aufgeschlagen, da kamen auch schon die ersten Kranken und Bittsteller, um von Barnabas behandelt und beraten zu werden. Schnell hatte sich eine Schlange vor dem Zelteingang gebildet. Servatius’ Augen begannen zu glänzen, als er das Geld in seinen Händen spürte.
Der erste Mann klagte dem Magier, dass Raubbienen sein Bienenvolk zerstörten.
»Nimm eine Knoblauchknolle, schneide sie kreuzförmig ein und lege sie über Nacht in Urin, mische den Urin mit Honig und gib ihn deinen Bienen zu fressen. Innerhalb von drei Tagen werden die Raubbienen verschwunden sein.« Der Mann nickte und verließ zufrieden das Zelt. Sofort übernahm ein Alter seinen Platz und erklärte: »Meine Ferkel sind klein und wollen nicht wachsen …«
Bevor er weiterjammern konnte, hob Barnabas die Hand
und sprach: »Gib ihnen täglich eine Messerspitze voll Kreide, Schwefel und Lorbeeren in ihr Wasser …«
»Woher soll ich Schwefel nehmen?«
Barnabas griff hinter sich und holte ein Gefäß und ein Stück Stoff hervor. Dann maß er mit einem kleinen Spatel ein Häufchen des gelben Pulvers auf das Tuch.
»Das reicht für eine Woche. Gib dem Mönch fünf Pfennige extra für den Schwefel.«
Der Alte schluckte. Doch da der Magier ihn durchdringend ansah, kramte er das letzte Geld aus seinen Taschen.
Nun stand ein junges Weib im Zelt und wollte Rat, denn ihr Vater hatte einen dicken Unterleib und konnte das Wasser nicht lassen.
»Er soll Tee von schwarzen Johannisbeerblättern trinken.«
Zweifelnd sah die Frau den Magier an: »Sonst nichts?«
»Sonst nichts!«
»Und dafür musste ich 3 Pfennige zahlen! Das erscheint mir viel, wenn ich bedenke, was Ihr sonst für Eure Ratschläge nehmt.«
Barnabas’ schwarze Augen taxierten die Frau von oben bis unten. Dann machte er einen Vorschlag: »Was haltet Ihr davon, wenn Ihr Euer Geld zurückbekommt und Eure Schuld … abarbeitet?«
Zuerst verstand die Frau den Sinn seiner Worte nicht, aber als sie seinen Blick zu deuten wusste, hob sie wutschnaubend ihre Röcke und verließ eilends das Zelt. Noch bis hinter die Stadtmauer war anschließend das Lachen des Magiers zu hören.
So ging es den ganzen Tag. Als die Sonne schon tief am Himmel stand, lichtete sich die
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