Das Höllenventil Kommissar Morry
Umschlagplatz einer Bande von Mädchenhändlern. Und Jerry, der Mann, den sie glaubte heiraten zu können, war nichts anderes als ein raffinierter Zulieferer. Seine beschwörenden Liebesworte, sein anziehender, bestrickender Charme, seine Versprechungen, all das war nur Bestandteil seines verbrecherischen Berufs.
Aber noch ahnten die Männer nicht, daß sie, Helen, vorzeitig wach geworden war und das Gespräch in der Küche mitgehört hatte. Noch bestand die Chance, den Männern ein Schnippchen zu schlagen und zu fliehen. Fliehen!
Aber wohin? Irgendwohin! Nur weg von diesem schrecklichen Hotel, weg von der Gefahr, als lebendige Ware betrachtet und behandelt zu werden. Plötzlich fiel ihr
das Tuckern des Bootsmotors ein. Da Boot am Hotelanleger! Mit Booten kannte sie sich aus. Ihr Onkel war Bootsbauer und hatte sie oft auf Probefahrten mitgenommen.
Helen ging um das Haus herum. Sie bewegte sich entlang der Wände und achtete sorgfältig darauf, kein Geräusch zu verursachen. Unter jedem Fenster tauchte sie hinweg. Als sie die rückwärtige, zum Fluß weisende Hotelseite erreicht hatte, blieb sie überrascht stehen. Das Boot war groß, eine seetüchtige Jacht. Mahagonibraun mit weißen Aufbauten. Es hatte eine kleine Kommandobrücke und trug den Namen ,Nike'. Hinter den mit Messing eingefaßten Bullaugen hingen hübsche, duftige Gardinen; sie verwehrten den Blick ins Innere.
Helens Mut sank abermals. Dieses Boot war einfach zu groß für sie. Es bedurfte spezieller Kenntnisse, um mit ihm auf dem Fluß fortzukommen. Aber war das überhaupt nötig? Hauptsache, sie kam ein Stück vom Hotel weg. Irgendwohin, wo Menschen und Häuser waren. Das Boot war mit einem kräftigen Strick am Poller vertäut. Eine Planke führte vom Anlegersteg auf das Deck. Helen zögerte. Sobald sie sich auf das Boot zubewegte, konnte man sie vom Hotel aus sehen. Alles mußte daher sehr rasch gehen. Jeder Handgriff mußte klappen.
Helen lief los. Sie hastete auf das. Boot zu und über die schmale Planke auf das Deck. Dann fiel ihr das Tau ein, sie machte kehrt und löste es vom Poller. Sie nahm sich keine Zeit, auch nur einen Blick auf das Hotel zu werfen. Als sie zum zweiten Male auf dem Deck stand, warf sie die Planke ins Wasser. Dann kletterte sie die kleine Leiter zur Kommandobrücke hinauf. In dem kleinen Raum roch1 es penetrant nach Öl. Helen überflog die wenigen Instrumente und drückte dann auf den Anlasser. Die Maschine begann zu röhren, blieb aber sofort wieder weg, sobald sie den Finger vom Knopf nahm. Helen schaute hinüber zum Hotel. Das mußten die Männer doch hören. Dann startete sie erneut.
Die Tür, die zum Hof führte, öffnete sich. Heraus trat ein Mann in einer engen Hose und einem viel zu weiten blauen Sweater. Er starrte zu ihr, mit weit offenem Mund und hastete dann in großen Sprüngen auf das Boot zu. Hinter ihm tauchte Jerry auf. Dann erschien das runde Gesicht von Mrs. Bard. Auf allen Gesichtern zeichneten sich Schreck und Überraschung ab. Die Maschine sprang an, scheppernd und klackernd, als wären ihre Lager längst zum Teufel.
Aber es war zu spät. Der Mann im blauen Sweater hatte mit einem letzten, gewaltigen Satz vom Anleger aus das Deck erreicht. Er kam die Leiter heraufgekeucht und betrat die winzige Kommandobrücke. „Hallo", sagte er schweratmend, „wen haben wir denn da?"
Helen preßte sich mit dem Rücken gegen die Wand. „Rühren Sie mich nicht an!" stieß sie hervor.
Der Mann grinste. Er hatte eine sommersprossige Haut und dünnes, blondes Haar. Dort, wo sonst seine Mütze zu sitzen pflegte, lief ein roter Striemen um die Stirn. Die Zähne des Mannes waren sehr schadhaft.
„Kommen Sie, mein Täubchen", sagte er mit seiner knarrenden Stimme, „Ihr Schatz wird sich freuen, Wiedersehen feiern zu können!"
Helens Verstand arbeitete fieberhaft. Ihr war klar, daß sie jetzt mogeln mußte. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Ich verstehe nämlich was von Booten”, sagte sie. „Mein Onkel ist Bootsbauer."
„So?" fragte der Mann. „Wollten Sie deshalb mit diesem alten Eimer türmen?"
„Türmen?" fragte Helen und tat erstaunt. „Wie soll ich das verstehen?"
„Sie haben das Boot losgemacht und die Planke ins Wasser geworfen!" grollte er.
„Oh! Ich wollte nur eine Runde drehen", sagte Helen und merkte, wie unglaubhaft das alles klang.
„Eine Runde drehen? Auf dem schmalen Fluß?" fragte er höhnisch. „Sie machen mir Spaß!"
Er ließ sie stehen und kletterte zurück auf das Deck.
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