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Das Hospital der Verklärung.

Das Hospital der Verklärung.

Titel: Das Hospital der Verklärung. Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stanislaw Lem
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Kranke haben Sie jetzt?«
    »Entschuldigen Sie, aber ich weiß nicht …«
    »Wann Sie sich zu entschuldigen haben, bestimme ich!« sagte der Deutsche schon schärfer. »Antworten Sie.«
    »Etwa einhundertsechzig …«
    »Ich muß die genaue Zahl haben. Zeigen Sie die Papiere.«
    »Aber das unterliegt doch der ärztlichen Schweigepflicht.«
    »Ein Arschloch ist das!« eiferte der Fremde. Stefan nahm ein Buch aus dem Regal und schlug es auf: Einhundertsechsundachtzig Patienten waren eingetragen.
    »So? Und Sie lügen nicht?«
    Stefan fühlte schon seit geraumer Zeit, daß ihm das Blut aus den Wangen wich. Aber er war nicht imstande, den Blick von dem Kinn des Deutschen loszureißen, das besonders kantig vorragte. Kalter Schweiß klebte ihm zwischen den Fingern, die sich zur Faust ballen wollten. Er sah in diese blassen Augen, die zugeschaut hatten, wie sich Hunderte von Menschen in offenen Gräbern nackt ausziehen mußten; sie kannten die sinnlosen Bewegungen dieser Unglücklichen, wenn sie, ohne das Kommando zu begreifen, ihren lebenden Leib auf den Fall in den Straßenkot vorbereiteten. Das Zimmer begann sich ihm zu drehen. Unbewegt blieb nur die hünenhafte Gestalt in dem gefleckten Umhang, der die Arme unbedeckt ließ.
    »Ein dreckiges Nest, das«, sagte der Deutsche. »Zwei Tage schon muß man die Schweinehunde durch die Wälder jagen. So was. Eine Sonderkommission wird zu Ihnen kommen. Wenn Sie einen einzigen Kranken verstecken, wird Ihnen …« Er drohte nicht. Er machte überhaupt weder Gebärden noch ließ er irgendeine Gemütsbewegung erkennen. Trotzdem erstarrte Stefan innerlich. Er fühlte, wie ihm der Mund austrocknete, er mußte sich ständig die Lippen anfeuchten.
    »So, jetzt zeigen Sie mir alle Gebäude hier.«
    »Nichtärzte haben zu den Krankensälen keinen Zutritt, wie die Verordnung …«, versuchte Stefan ein letztes Mal einzuwenden, die Stimme fast zum Flüstern gesenkt.
    »Die Verordnungen machen wir!« erhielt er zur Antwort. »Genug gequatscht.«
    Und der andere versetzte ihm wie unbeabsichtigt einen Stoß; Stefan taumelte. Mit raschen Schritten überquerten sie den Hof. Der Deutsche hielt Umschau und stellte Fragen. Wie viele Betten in dem einen oder dem anderen Pavillon seien, wollte er wissen, wie viele Ausgänge es gebe,ob die Fenster vergittert und wie viele Patienten in jedem Zimmer untergebracht seien.
    Als er schließlich hinausging, erkundigte er sich nach der Zahl der Ärzte und der Sanitäter. Auf dem Rückweg blieb er vor der großen Rasenfläche stehen und ließ seinen Blick in beiden Richtungen darüberschweifen, als wollte er Maß nehmen.
    »Sie können beruhigt schlafen«, sagte er noch, bevor er ins Auto stieg. »Ihnen wird nichts passieren. Falls wir aber einen Banditen bei Ihnen finden, eine Waffe oder so was, dann möchte ich nicht in Ihrer Haut stecken.«
    Der Motor sprang an. Der Deutsche machte sich auf dem Rücksitz breit. Erst jetzt fiel Stefan zweierlei auf: Einmal waren sie nicht einem einzigen Arzt oder Pfleger begegnet, zum anderen hatte er gar keine Ahnung, wer dieser Deutsche sei. Die Dienstgradabzeichen an der Uniform waren von dem Umhang verdeckt. Und von seinem Kopf hatte Stefan nur die schwarze Brille und den Stahlhelm in Erinnerung behalten. Wie ein Marsmensch sah er aus, dachte er gerade, als ihn ein leichter Schritt aus seinen Überlegungen weckte.
    »Was war denn los, Kollege?«
    Vor ihm stand Dr. Nosilewska. Ihre Augen strahlten heller als sonst, und ihre Wangen waren gerötet vom Laufen und vor Erregung. Sie hatte keinen Arztkittel an. Stefan stotterte verlegen, er wisse eigentlich selbst nicht, was vorgefallen sei, ein Deutscher habe das Sanatorium besichtigen wollen. Offenbar würde in den Wäldern Jagd auf Partisanen gemacht, und er sei deshalb gekommen.
    Er faselte, um Pajączkowski nicht zu verraten.
    Dr. Nosilewska war von Rygier und Marglewski vorgeschickt worden, die es beide vorzogen, noch nicht herunterzukommen, obgleich sie vom oberen Dienstzimmer aus beobachtet hatten, daß das Auto weggefahren war.
    Auch Dr. Nosilewska hatten sie aus Vorsicht nicht eher gestattet hinunterzugehen.
    Stefan ließ die Kollegin unhöflich stehen und schritt wieder der Landstraße zu.
    Er sah auf die Uhr. Es war sieben. Die Dunkelheit brach rasch herein. Der Deutsche war beinahe eine halbe Stunde dagewesen; Pajączkowski mußte bald zurück sein. In der Dämmerung sah alles so anders aus, so fremd. Er blickte zum Sanatorium hinüber. Die hohen Umrisse der

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