Das Internat
war ein Anfang, kein Ende. Er hatte alles vor sich gehabt.
Was hatten sie seinem Bruder da drinnen angetan?
Das Telefon fiel auf den Boden. Jameson sackte gequält in sich zusammen und sank neben seinen Bruder auf den Boden.
QUUIIIETSCH KLANG KLONG.
Der ohrenbetäubende Lärm ließ Jameson aus einem unruhigen Schlaf hochschrecken. Er sprang aus dem ledernen Lehnsessel, in dem er gedöst hatte, und ließ den Blick in der Erwartung, einen bewaffneten Eindringling zu entdecken, durch sein Wohnzimmer schweifen. Es klang, als ob jemand sich Zutritt zum Haus verschaffen wollte.
Post? Er blinzelte und bemerkte einen großen, braunen Briefumschlag auf dem Boden vor der Eingangstür. Wie spät war es? Die Post wurde normalerweise gegen Mittag ausgeliefert, und den weichen, pfirsichfarbenen Strahlen nach zu urteilen, die durch das Oberlicht hereinfielen, würde die Sonne bald untergehen. Seine Uhr zeigte auf sieben Uhr abends. Konnte es schon so spät sein? Als er vom Krankenhaus heimgekommen war, hatte er es sich im Sessel bequem gemacht, körperlich und emotional erschöpft. Er musste eingeschlafen sein.
Jameson schielte auf den Umschlag, der deutlich als Kuriersendung gekennzeichnet war. Wahrscheinlich von seinem Verleger.
"Schon wieder ein Poststreik", murmelte er und schüttelte den Kopf, um wieder klar denken zu können. Den Umschlag ließ er liegen und bewegte sich auf die Küche zu. Kaffee. Er bezweifelte, dass das seinen pochenden Schläfen guttun würde, aber er brauchte einen Wachmacher. Der Schlaf hatte die scharfen Kanten des Schmerzes etwas gemildert, aber Jameson konnte nicht ewig schlafen.
Das Geräusch, das ihn geweckt hatte, war die Metallklappe seines Briefschlitzes gewesen. Es schepperte wie ein Donnerhall, wenn die Post durchgeschoben wurde. Hätte Jameson eine Pistole besessen, er hätte sie aus Reflex gezogen. Der Postbote hatte Glück gehabt.
In der Jackentasche suchte Jameson nach seinem Handy und stellte fest, dass er komplett angezogen war. Er musste in den Sessel gefallen sein, ohne auch nur den Mantel auszuziehen. Dieser Tag erschien ihm wie ein verschwommenes rotes Etwas. Billy war ins Krankenhaus gebracht und für tot erklärt worden, ohne dass einer der Ärzte die Ursache hatte feststellen können. In der Zwischenzeit hatte sich Jameson abgeschottet. Er tat einfach so, als nähme er am Geschehen teil.
Die Polizei wurde benachrichtigt, und Jameson erzählte alles, was er wusste. Außer der wahren Bedeutung der Nachricht, die sein Bruder ihm auf dem Anrufbeantworter hinterlassen hatte. Jameson war sicher, dass Billy während all der Jahre im Gefängnis etwas verschwiegen hatte und es ihm deshalb so wichtig gewesen war, mit seinem Bruder über den Mord im Internat zu sprechen.
So, wie der Anruf geklungen hatte, war Billy bereit gewesen, das Schweigen zu brechen. Vielleicht hatte ihn das in Gefahr gebracht. Aber als die Polizei Jameson fragte, ob er jemanden kenne, der es auf seinen Bruder abgesehen habe, verneinte er und beließ es dabei.
In seiner Küche dominierte Edelstahl, der dank des Reinigungsteams fleckenlos sauber war – und dank der Tatsache, dass die Küche kaum benutzt wurde. Normalerweise befriedigte das seinen Ordnungssinn. Heute Abend wirkte sie kalt. Alles wirkte kalt.
Er öffnete zwei oder drei verchromte Dosen, bevor er den Kaffeebehälter fand. Vielleicht solltest du die Dosen mal mit Aufklebern versehen, du Genie, dachte er, während ihm der aromatische Geruch von starkem kolumbianischem Kaffeepulver in die Nase stieg. Er hatte auch die exotischeren Sorten ausprobiert, aber er wollte kein Dessert, er wollte eine Droge. Kaffee musste einfach bitter sein und einem einen Schlag in die Magengrube versetzen.
Seine Gedanken wanderten zurück zu seinem Bruder, als er den Behälter der Kaffeemaschine mit Leitungswasser füllte und Pulver in den Filter häufte.
In Wirklichkeit war Billy ihm ein einziges Rätsel, so wie offensichtlich allen anderen auch. Jameson hatte den Geschichten nie geglaubt, dass Billy verrückt wäre. Trotzdem wusste er so wenig über das Innenleben seines Bruders, dass er nicht verstehen konnte, warum er dreiundzwanzig Jahre seines Lebens stillschweigend in einem Gefängnis vergeudet hatte, obwohl er nichts verbrochen hatte. Warum hatte Billy nicht wenigstens auf seiner Unschuld beharrt, so wie jeder andere Todeskandidat auch? Außerdem verstand Jameson nicht, wieso er sich das Leben genommen haben sollte, nachdem er endlich in Freiheit war. Aber
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