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Das Isaac-Quartett

Das Isaac-Quartett

Titel: Das Isaac-Quartett Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jerome Charyn
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großen Löffel in die Kasserolle zu langen. Die Kostprobe der Wurst mit Bohnen überzeugte ihn davon, dass die Kings of Munster ihre Logiergäste nicht ziehen lassen sollten. Die Iren fanden in der schmalen Speisekammer hinter der Bar Servietten und Teller und bedienten sich aus Papas Topf. Sie saßen um den Riesen aus Limerick herum und stopften sich mit Würsten und Bohnen voll.
    Patrick rührte die Kasserolle nicht an. Er saß auf einem Barhocker und sah Jerónimo zu, der mit dem Malkasten der Guzmanns spielte. Jerónimo war im Gebetsraum. Er kauerte unter den Türen des babylonischen Schranks und knetete mit seinem warmen Daumen die Wachsmalkreiden. Dann ging er mit den Stiften zu Jorges Bett. Das Baby malte seinem Bruder die Lippen an. Jorge lächelte mit Wachs auf seinem Mund. Das Baby ging besonnen vor. Sein Gesicht straffte sich, als es das Wachs auftrug. Er betrieb seine Kunst mit Leidenschaft, Papas ältester Junge. Von Jorges Lippen ging er zu den Ohrläppchen und Augen über. Nichts an diesem Werk blieb dem Zufall überlassen. Er konnte auf die Unregelmäßigkeiten eines Backenknochens oder einer Augenbraue eingehen. Er malte vollkommene Bögen.
    Patrick wandte sich ab. Er hatte den beiden Brüdern nachspioniert und war zu einer hässlichen Erkenntnis gekommen: Jerónimo war der Lippenstift-Freak. Er malte kleine Jungen an und brachte sie um.
    Patrick war immer ein lausiger Detective gewesen. Isaac war der Hexenmeister, nicht Patrick Silver vom Gummiknüppeltrupp. Der Chef konnte jeden Schauplatz eines Verbrechens untersuchen und aus einem Zündholzmäppchen, Blut auf dem Schuh einer Leiche, ab gerissenen Kinokarten und Schleim in einem Taschentuch eine Vorgeschichte spinnen. Aber Patrick sah die Glorienscheine um Jorges Augen. Er konnte sich aus dem geübten Strich einer Wachskreide in Jerónimos sicherer Faust eine Geschichte zusammenreimen. Das Baby hatte einen flüssigen Strich. Seine Ellbogen knickten nie ein. Er urteilte einen mit seinen Stiften ab. Er brandmarkte einen und nahm einem das Leben. Jerónimo war der Freak.
    Hatte es mit einem Spiel begonnen? Jerónimo brauchte ein fügsames Geschöpf, um seine Kunst zu üben. Einen seiner Brüder oder einen Jungen mit einem Puppengesicht. Auf, auf die Dächer, Hand in Hand. Dem Jungen musste das Wachs anfangs gefallen haben. Dann wollte er nicht mehr stillhalten. War es das, was Jerónimo erzürnte? Ihn den angemalten Jungen zerlegen ließ?
    Patrick suchte die Waffe, die Jerónimo benutzte. Unter den Schätzen der Familie fand er nur stumpfe Gegenstände: Eisspachtel, Plastikpfeifen, Schnürsenkel. Wo war Jerónimos Messer? Patrick musste in den Gebetsraum kriechen, während die Guzmanns beschäftigt waren und Jorge schlief. Er sah in jedem erdenklichen Versteck nach. Er zwängte seine Knöchel in die Ritzen hinter der babylonischen Lade und konnte sie kaum wieder rausziehen. Er förderte Staubklumpen und eine tote Maus zutage.
    Patrick gab seine Gänge zu Odiles Haus auf. Er blieb in den Kings of Munster. Er schlürfte schwarzes Bier, behielt Jerónimo im Auge und kümmerte sich um die Angelegenheiten der Schul. Rabbi Hughie hatte eine Sammelbüchse auf der Bar aufgestellt, damit die Schul für die hohen Festtage einen Kantor anwerben konnte. Wenn Patrick Silver da war, mussten die Iren in ihre Hosentaschen greifen und Hughies Kiste mit Dollarscheinen mästen. Hughie verzweifelte trotz der satten Kollekte: Welcher Kantor würde im Hinterzimmer einer Kneipe Kol Nidre singen? Die Schul würde einen Renegaten anwerben müssen, einen Chas’n, dem die Synagogen New Yorks untersagt waren.
    In Patricks Kopf war kein Platz für Kantoren. Er wartete auf Jerónimos nächsten Schritt, auf seinen Satz auf die Straße. Das Baby rührte sich nicht. Es hatte seinen Malkasten, seine Brüder, weiße Schokolade, Halva und die Kasserollen seines Vaters. Papa saß in einer irischen Bar fest und hatte nichts zu tun; daher ging er auf Sammys Vorschlag ein, Chefkoch der Kings of Munster zu werden. Die Bar hatte sich eine Schwemme an Essen eingehandelt. Papa beließ es nicht bei Würsten, die unter Bohnen begraben waren. Er ließ sich von seinen Medizinmännern Gewürze und Kräuter in die Horatio Street mitbringen. Er bereitete Gerichte zu, die sich kein Ire hätte träumen lassen. Hühnerfrikassee und Tintenfisch im gelben Reisrand, garniert mit Piment und Seegurken und Oliven; Kammmuscheln, die so fein geschnitten waren, dass sie auf der Zunge zergingen; Soßen, auf die

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