Das Isaac-Quartett
Jahren, die er im Laden verbracht hatte, hatte Coen nicht öfter als zweimal etwas gestohlen. Er hatte wahnsinnigen Respekt vor dem alten Mann. Moses war es gewesen, der ihm nach dem Tod seiner Eltern das Geld für die Heimreise aus den Kasernen von Bad Kreuznach geschickt hatte. Und es war nicht Papas Schuld, dass das Geld erst nach drei Wochen an Coens Adresse ankam. Sheb hatte gewusst, wo er war. Doch Sheb machte den Mund nicht auf.
»Was willst du von ihm, Manfred?« Papa stand wieder hinter der Theke; er musste schreien, um die Mädchen zu übertönen.
»César.«
»Informationen, Papa. César kann mir helfen, ein ausgerissenes Mädchen zu finden.«
»Eine Goische, oder eine Jüdin?«
»Eine Goische, Papa.«
»Kennst du das vegetarische Restaurant in der Dreiundsiebzigsten gleich am Broadway? Da musst du hingehen. Ungefähr um acht oder neun abends findest du da die geilen alten Böcke mit Anstecksträußchen. Besorg dir eine Blume, und warte ab. Das ist eine Art Lotsendienst. Steig mit den alten Männern in den Wagen. Nenn dem Fahrer meinen Namen. Sag Moses, nicht Papa. Mehr kann ich dir nicht sagen. Du wirst doch Jerónimo nicht vergessen, Manfred? Du sagst mir doch Bescheid, ob er sich bei seinem Bruder wohlfühlt?«
»Natürlich, Papa.«
Coen mied den Eierladen seines Vaters, der südlich von den Guzmanns an der Boston Road lag. Er wollte in der kommenden Nacht nicht von Eiern träumen. Der Laden war jetzt eine himmelblau gestrichene Kirche der Pfingstbewegung und zugleich eine weitere Annahmestelle für Wetten der Guzmanns. Vor dem Süßwarenladen traf Coen Jorge. Er war der mittlere von Papas fünf Söhnen, dumm und unbestechlich mit neununddreißig; seinen Brüdern gegenüber bezog er selten Stellung, und er war so unbeweibt wie sie. In den Taschen und den Ärmeln trug er Vierteldollarstücke; da er schlecht im Kopfrechnen war und sich verlief, wenn er um zu viele Ecken bog, lief Jorge die gerade Boston Road entlang und nahm nur Wetten über einen Vierteldollar an. Papa kaufte ihm Hemden und Hosen mit besonders großen Taschen, doch nachmittags musste Jorge die Münzen sogar in seine Schuhe stecken. Von seinen Kleidungsstücken zu Boden gezogen, hatte Jorge keine Lust auf einen Schwatz mit Coen. Er grunzte »Hallo« und wollte weitergehen. Coen hielt ihn an.
»Jorge, wo ist Isaac? Bitte.«
Immer noch knurrend deutete er mit dem Kinn auf die Leuchtreklame der Primavera Bar am Southern Boulevard, Ecke Hundertvierundsiebzigste. Coen, der nicht wusste, wie er ihm danken sollte, schüttelte Jorges Ärmel, stürzte sich in den Verkehr und trat in die puerto-ricanische Bar. Auf dem hintersten Hocker erkannte er einen kahlköpfigen Mann mit grauen Locken um die Ohren. Ehe Coen auch nur »Isaac« sagen konnte, kletterte der Mann vom Stuhl und schloss sich in der Toilette ein. Coen hätte den Riegel mit seiner Lizenzkarte knacken können. Er rief durch die Tür.
»Isaac? Ich habe dein Einbrecherwerkzeug bei mir. Wenn ich Lust hätte, könnte ich dich rauszerren.«
Coen hörte entweder die Toilettenspülung, oder der Mann im Innern weinte.
»Isaac, bist du das Aushängeschild der Bar? Ich bin Pimloe zugeteilt. Kann ich ihm trauen, Isaac? Führt er mich an der Nase rum? Chef, kannst du was Essbares gebrauchen?« Coen steckte zwanzig Dollar von der Kohle, die Child ihm gegeben hatte, unter der Tür durch. Er wusste nicht, ob Isaac das Geld aufhob. Der Barkeeper funkelte Coen böse an. »Keine Partie Dame mehr mit Isaac? Nichts?« Er wollte seine Beschäftigung mit Child klären, seine Mutmaßungen über Odile. Coen hatte wenig mit anderen Kriminalbeamten zu tun. Berufliche Dinge konnte er nur mit Isaac bereden. Seit Isaac in Ungnade gefallen war, zog Coen wie ein Schlafwandler durch die Reviere von Manhattan, Brooklyn, Staten Island und Queens und wanderte ständig von einem Mordtrupp zum anderen. Er war Isaacs Geschöpf, von Isaac geformt, mitgehangen und mitgefangen. Er machte der Tür keine weiteren Anträge. Mit einem Gummiring schnürte er das Geld zusammen und ging zur U-Bahn rüber.
Die Neulinge Lyman und Kelp fuhren in einem Ford, einem Zivilfahrzeug, durch die Bronx und klagten über die weiblichen Polizisten, die mit ihnen gemeinsam den Abschluss gemacht hatten. Sie gehörten zu einer neuen Generation von Bullen, einem neuen Wurf- aufgeklärt, freigebig und wortgewandt, mit Lenkstangenschnurrbärten, gepflegtem länglichem Haar und einer ironisch-distanzierten Haltung gegenüber der
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