Das Isaac-Quartett
allen Brüdern der unberechenbarste, geschickter als Alejandro, sturer als Jorge, der jüngste, der dürrste, der gerissenste, der einzige, der den Nerv hatte, sich Papas Klammergriff zu entwinden. Ehe er nach Manhattan durchgegangen war, hatte er den Spitznamen Zorro, der Fuchs, geführt. Unter diesem Namen war er in den rüdesten Spielerverbindungen bekannt. Heute trug er Hosenträger, ein Hemd aus Mohair und eng anliegende Stiefel. Zur Begrüßung fauchte er Coen an. »Wenn ich was von dir wollte, Manfred, würde ich dich vor deiner Haustür abfangen. Warum missbrauchst du Papas Namen, um zu mir zu kommen?«
Coen entschied sich, mit der Wahrheit hinter dem Berg zu halten. »Ich suche Jerónimo.«
»Ha, ha. Noch mehr Witze von der Sorte, Manfred, und du blutest zwischen den Beinen.«
In ihrer Kindheit waren sie unzertrennlich gewesen; sie hatten Jerónimo vor den Schlägern und Dieben des Southern Boulevard beschützt, die monströse Vogelscheuche gegenüber von Papas Farm in Loch Sheldrake ausgezogen, an ländlichen Wäscheleinen frisch gewaschene BHs beschnüffelt, Schnee vor Papas Süßwarenladen geschippt, saure Gurken für Jorge und Jerónimo gestohlen, sich einigen Blutritualen unterworfen (mit Sicherheitsnadeln hatten sie sich in die Arme gestochen) und Prostitutas auf der Straße verfolgt. Wenn seine Eltern fortfuhren, um Eier einzukaufen, schlief Coen mit César und Jerónimo in Jerónimos Bett. César hätte für seinen Vater und seine Brüder einen Mord begangen, und es hatte Zeiten gegeben, zu denen er auch für Coen einen Mord begangen hätte. Mit vierzehn lebten sie sich auseinander. Coen trieb sich mit Bohemiens und kleinen Juden von der Hochschule für Musik und Bildende Künste in Manhattan rum. Er vernachlässigte César. Seit er nach Manhattan konvertiert war, fühlte er sich den Guzmanns der Boston Road überlegen. Er putzte sich die Zähne mit Manhattaner Wasser. Er aß die Eierbrötchen seiner Mutter in Parks und Museen. Als er sich mit fünfzehneinhalb seiner Versnobtheit bewusstwurde, seines Unbehagens unter den anderen kleinen Juden, seiner Nervosität in Kunstmuseen, konnte er nicht mehr zu César zurück. César, der inzwischen unergründlich war und Jerónimos Schweigen übernommen hatte, hatte nur ein stummes Guten Tag und Auf Wiedersehen für Coen übrig. Papa konnte dem Gymnasiasten verzeihen, ihm besonders große Eiskugeln vorsetzen, konnte ihm den Platz neben Jerónimo zuweisen; César konnte es nicht.
»Manfred, ich treibe mich vielleicht in Abstellkammern rum, aber mir entgeht nicht allzu viel von dem, was mein Vater weiß. Wie viel liegt dir an Childs Tochter?«
»Du hast mit Papa gesprochen?«, sagte Coen.
»Jetzt sag schon, wie viel.«
»Wenn ich sie nicht anschleppe, bin ich in der Klemme. Ich bin einem der Kommissare zugeteilt worden, und man kann mich abschieben. Jederzeit, und wohin sie wollen.«
»Sie ist in Mexiko City.«
»Ich dachte in Peru«, sagte Coen. »César, kann ich an sie ran?«
»Alleine nicht. Du wirst jemanden brauchen. Es kann allerdings sein, dass du ihn nicht magst. Das Mädchen ist bei ein paar miesen Typen.«
»Haben sie sie gekauft?«
»Mach dir darüber keine Sorgen. Wir treffen uns in einer Stunde. Der Fahrer gibt dir die Adresse, unter der du mich heute Abend erreichen kannst.«
»César, warum haben deine Freunde über Jerónimo geredet?«
»Horch mich nicht aus, Manfred.«
»Vielleicht kann ich euch helfen.«
»Klar. Die größten Schweine von der ganzen Polizei versuchen, meinen Bruder zu erledigen, und ich nehme an, du bist bereit, sie davon abzuhalten. Hau ab, Manfred.«
»Jerónimo erledigen? Weshalb? Weil er sich auf der Straße den Schwanz krault? Das ist doch verrückt.«
»Sie wollen ihn zum Lippenstift-Freak machen. Das weiß ich aus sicherer Quelle. Ich werfe keine großen Scheine für Fehlinformationen raus.«
»César, ich habe die Skizzen gesehen, die die Polizei hat anfertigen lassen, Skizzen von diesem Freak. Sie haben keine Ähnlichkeit mit Jerónimo.«
»Keine Sorge, wenn sie ihn in die Finger kriegen, werden sie die Skizzen ändern.«
Der Fahrer fuhr wieder in Richtung Stadt. In früheren Zeiten, als Coen noch in der Boston Road lebte und für Isaac arbeitete, hatte er Jerónimo einmal aus einem Revier in der Bronx gerettet. Selma Paderowski, dreizehn und süchtig nach Schokoladensirup, hatte Jerónimos wolliges graues Haar gesehen und sich entschlossen, verliebt zu sein. Um ihre Zuneigung unter Beweis zu
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