Das ist das Leben!: C'est la vie (German Edition)
der Rohrpost nach Paris kamen, oder an den Tod eines Papstes zwei Monate nach seiner Wahl. An das Vergnügen, durch die Rue de la Huchette zu schlendern, um ins Maspero oder ins Caveau zu Jazzkonzerten zu gehen, Miles Davis gesehen haben – sich an all diese unbedeutenden Dinge erinnern, die zum Symbol einer Ära geworden sind. Die Wörter lieben, wie sie sich im Mund anfühlen, wie sie klingen. Massenhaft Schals haben, die man nie anzieht. Von der Afrikanistin Denise Paulme sechs Kristallgläser geerbt haben. Von Briefen unbekannter Bewunderer bestärkt und getröstet werden. Stundenlang einfühlsam und aufmerksam mit dem so jung aus dem Leben gerissenen Francis geredet haben. Mit einem Baby, das laut auflacht, Kille-Kille-Kitzelkäfer spielen; Fronleichnamsprozessionen mit festlichen Tüchern an den Fenstern und Rosenblüten in Körben erlebt haben.
Eine Cousine gehabt haben, die von Hand ihre Kühe gemolken und sich dabei die Nase mit einer Wäscheklammer zugedrückt hat. Vichy-Pastillen, Anisbonbons oder Pastilles de Vosges aus hübschen Schachteln naschen. Sehen, wie die Kinder wachsen und die Alten schrumpfen. Sich einen Spaß daraus machen, in Alexandrinern zu sprechen und sich an Du Bellays »… des Meeres Brise nicht für Anjous Zephirdüfte« erquicken.
Oberhalb der Gare de Montparnasse gewohnt haben wie gegenüber dem Dampfer Amarcord , bei dem alle Bullaugen erleuchtet waren. Ausgiebig schmusen. Sprachlos sein von der Erotik in Queen Kelly , von Daniel Day-Lewis’ glühendem Verzicht in Zeit der Unschuld . David Suchets Affektiertheit als Hercule Poirot genauso schätzen wie Lino Venturas Ungeschliffenheit, die Perversität des kichernden Richard Widmark oder Gene Tierneys erstaunliche Sanftheit in Ein Gespenst auf Freiersfüßen , dahinschmelzen vor der Unbeholfenheit Henry Fondas, der in Faustrecht der Prärie in der letzten Szene zum Ball geladen ist …
23. September
… sich wohlfühlen in der kargen Welt des Wüstenplaneten mit seinen gigantischen unterirdischen Wassernetzen. Das Wasserreservoir von Montsouris besichtigt haben. Versucht haben, eine Drossel wiederzubeleben, die gegen eine Fensterscheibe geflogen war, und die Verwirrung des dazugehörigen Männchens erleben müssen, das tagelang an diese Stelle zurückkam.
Alte Möbel restaurieren. Einen großen Raum mithilfe von Eltern oder Freunden neu streichen. Sich in der großen, prächtigen Moschee von Córdoba wohlfühlen. Die riesigen schwarzen Stiere bewundern, die sich in Spanien am Straßenrand vor dem Himmel abzeichnen. Einen Strauß aus blühendem Fingerhut binden.
Bei der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution auf der Tribüne auf der Place de la Concorde durchnässt und durchgefroren gewesen sein, weil der Wind das Wasser der Springbrunnen auf die Gäste geweht hat.
Sich mit François Mitterrand über die romanischen Kirchen des burgundischen Brionnais unterhalten haben. Immer wieder aufs Neue angerührt sein von der Anmut der kleinen Kirche in Baugy auf ihrer grünen Wiese. Sich weigern, Gurken in Sahnesauce zu essen und Sahne überhaupt. Kommunale Blaskapellen lieben und die Veranstaltungen zum Schuljahresende besuchen. Dem schönen Torero Luis Miguel Dominguín in seiner Glanzzeit begegnet sein. Starke Seelen bei Michel Foucaults Tod weinen gesehen haben. In pieksendem Heu geschlafen haben.
Beim Weihnachtsessen gewesen sein, zu dem der Bürgermeister und Wirt von Bertignat und seine Frau einen echten Tippelbruder mit Seesack und Schnürstiefeln eingeladen hatten, der aber nur um heißes Wasser und Salz bat, um sich Nudeln zu kochen, sowie um einen Schoppen Wein (und zwei bekam).
Bei der Feldforschung wundervolle Gesprächspartner haben. In größten Gefühlswirren einer alten Dame aufgeholfen haben, die die Leute auf Knien anflehte, sich um das Baby ihrer Tochter zu kümmern, die im Kindbett gestorben war (was geschah). Auf afrikanischen Pisten wie über Wellblech gefahren sein, wobei die Wagen grundsätzlich kaputtgingen, wenn man nicht die richtige Geschwindigkeit einhielt, und den schmalen Spuren der Fahrradreifen gefolgt sein, die natürliche Hindernisse auf staubiger oder roter Erde umfuhren. (Doch nicht) eine Nahtoderfahrung gemacht haben. Sich zwingen, leserlich zu schreiben. Von einem schönen Smoking von Yves Saint Laurent oder einem tollen Kleid träumen, das man in einer Zeitschrift gesehen hat.
Verblüfft sein von einer Doktorarbeit über »Die Adhäsionskräfte der Scopulahaare an den
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