Das italienische Maedchen
gut geht, breche ich in sechs Wochen, wenn Rosanna und ich von Neapel zurück sind, nach Bergamo auf.«
»Verstehe. Weiß Rosanna Bescheid?«
»Nein. Ich wollte ihr nicht die Freude verderben.«
»Sie wird am Boden zerstört sein. Ihr beide steht euch so nahe.«
»Wenn sie mich so liebt, wie ich es glaube, wird sie sich für mich freuen.«
»Vielleicht.« Abi seufzte. »Bitte nimm es mir nicht übel, wenn ich nicht dazu in der Lage bin, jedenfalls noch nicht. Ich kann dich durch nichts umstimmen?«
Luca wusste, dass er stark bleiben musste. »Nein.«
Abi konnte die Tränen nicht länger zurückhalten. »Dann drück mich bitte, Luca.«
Luca breitete die Arme aus. Als er ihr über die Haare strich, spürte er, wie sein Körper auf sie reagierte.
»Meine Gefühle für dich werden sich nicht ändern«, murmelte sie.
»Doch, Abi. Du bist eine schöne junge Frau. Eines Tages wirst du jemanden kennenlernen, der dich so liebt, wie ich es nicht vermag. Dann wirst du mich vergessen.«
Sie wischte sich die Tränen mit dem Handrücken weg. »Nein«, widersprach sie, »niemals.«
Am folgenden Tag erklärte Luca Rosanna alles. Zu ihrer Überraschung war sie trotz ihres Bedauerns darüber, dass sie in Zukunft ohne ihn sein würde, erleichtert, endlich zu wissen, warum ihr Bruder so lange ein Einsiedlerleben geführt hatte.
»Wann soll’s losgehen?«
»Im Herbst, wenn wir aus Neapel zurück sind.«
»Werde ich dich in Bergamo besuchen können?«
»Vorerst nicht.«
»Verstehe.«
»Kannst du meine Entscheidung verstehen?«, fragte Luca.
»Ja, solange es tatsächlich das ist, was du willst.«
»Es war schon lange mein Wunsch, ohne dass es mir klar gewesen wäre.«
»Dann freue ich mich für dich, auch wenn du mir sehr fehlen wirst, Luca.«
»Und du mir. Du wirst nicht allein sein. Ich glaube, Abi würde gern hier einziehen. Das wäre dir doch recht, oder?«
»Natürlich, aber es ist nicht das Gleiche wie mit dir.«
»Du wirst so beschäftigt sein mit deinem neuen Leben an der Scala, dass dir meine Abwesenheit gar nicht auffällt, piccolina .«
»Das bedeutet nicht, dass ich dich nicht mehr brauche.« Mit bemüht fröhlicher Stimme fuhr sie fort: »Was Papà wohl dazu sagen wird?«
»Ich denke, ihm wird’s Spaß machen, mit seinem Sohn, dem Geistlichen, und seiner Tochter, der Opernsängerin, anzugeben.« Luca griff nach ihren Händen. »Rosanna, du weißt, dass du mir der wichtigste Mensch auf Erden bist?«
»Ja.«
»Ich glaube, jetzt ist der richtige Moment zu gehen. Du musst lernen, selbständig zu werden.«
Rosanna nickte traurig. »Wahrscheinlich hast du recht. Ich muss erwachsen werden.«
Die zwei Monate in Neapel vergingen wie im Flug. Im Café war viel los, und Rosanna konnte nicht so viel Zeit mit Luca verbringen, wie sie sich gewünscht hätte. Wie ihr Bruder prophezeit hatte, prahlte Marco schon bald mit seinem Sohn, dem zukünftigen Priester. Den fand er beeindruckender als die Tatsache, dass die Scala seine Tochter verpflichtet hatte. Rosanna nahm sein augenscheinliches Desinteresse klaglos hin; es machte ihr bewusst, wie weit sie sich von der sicheren, engen Welt von Piedigrotta entfernt hatte. Von ihrem Vater erwartete sie nicht, dass er sie verstand.
Vor ihrer Rückkehr nach Mailand besuchte Rosanna Luigi Vincenzi, weil sie wusste, dass es lange dauern konnte, bis sie wieder nach Neapel käme. Auf seiner schönen schattigen Terrasse genossen sie, geschützt vor der heißen Augustsonne, gekühlten Weißwein. Sie hatte ein schlechtes Gewissen, dass sie sich mittlerweile bei Luigi heimischer fühlte als im Café ihres Vaters.
»Halten Sie es für richtig, Paolos Vorschlag anzunehmen?«, fragte sie ihn, als er ihr Wein nachschenkte.
»Ja. Ins Ausland zu gehen und die großen Partien zu singen wäre natürlich verführerisch, aber Paolo tut gut daran, dir Zeit zu geben.«
»Manchmal habe ich das Gefühl, dass ich schon ewig übe«, seufzte Rosanna. »Meine ersten Gesangsstunden bei Ihnen sind jetzt fast zehn Jahre her.«
»Rosanna, du wirst bis zum Tag deines Todes üben«, erklärte Luigi. »Das gehört zu deinem Beruf, nur so kannst du besser werden. Vergiss nicht: Für Paolo wäre es sehr viel einträglicher, dir sofort eine Hauptrolle an der Scala zu geben. Er weiß, dass du eines Tages ein Star sein wirst. Trotzdem sind er und Riccardo Beroli bereit, dich behutsam zu fördern und dein Selbstvertrauen und Repertoire aufzubauen. Glaubst du, andere Sopranistinnen erhalten vom
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