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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Erschossen worden ist er vor seinem eigenen Haus.«
    Überall Tote, dachte Konrad.
    Sie betraten die große Lichtung, auf der ihre beste Wiese lag. Jetzt erkannte auch Konrad den Weg wieder.
    »Das kam so«, begann Vater. »Ich wusste schon seit einigen Wochen, dass Dr. Lukowski in seinem Haus irgendwen verborgen hielt. Als er zum erstenmal zu Großvater kam, da erbat er sich Nahrungsmittel von uns. ›Nicht für mich‹, sagte er damals, ›sondern für meine Hausgenossen.‹ Dabei zwinkerte er vertraulich mit den Augen. Ich las darin einen Rest Misstrauen und die Bitte, ihn nicht zu verraten. Nun, als ich gestern in der Stadt war, erfuhr ich von der Apothekerin, was sich zugetragen hatte.
    In der Stadt wohnten damals einige Juden, weißt du. Eines Nachts in den ersten Kriegsjahren wurden sie alle in einen Lastwagen gepfercht. Wie Vieh. Ein Bündel hatte jeder bei sich. Viel weniger noch, als wir heute haben. Alle wussten es, dass sie nach Bromberg in eines dieser schrecklichen Lager gebracht werden sollten. In ein Lager, das einen breiten Eingang hat. Der Ausgang ist schmal. Nur Tote finden den Weg hinaus. Alle wussten davon. Und wir alle schwiegen. Wir waren froh, dass es uns nicht getroffen hatte. Unser Schweigen ist unsere Schuld, Junge.« Er verstummte und dachte daran, dass jede Schuld Sühne verlangt.
    »Und Dr. Lukowski?«, drängte der Junge.
    »Warte es ab. Es sollten siebenundzwanzig Juden damals sein. Doch es blieben nur vierundzwanzig. Auch als ein SS-Mann alle vom Wagen trieb, wiederum zählte und sie einzeln aussteigen mussten, blieben es vierundzwanzig. Über eine Stunde stand der Wagen in der Nacht. Hier und da flammte Licht auf. Sie durchsuchten noch einmal gründlich die Häuser der Juden. Vergebens. Drei Juden fehlten.
    Israel Rosenhügel, sein Sohn David und seine fünfjährige Tochter Ruth, wie sich herausstellte. Ehe es hell wurde, sollte der Lastwagen verschwunden sein. So fuhr die SS schließlich davon. In den ersten Wochen lief Olbrischt oft zur Parteiversammlung in die Stadt. Irgendwo mussten die drei ja stecken. Olbrischt hat mir erzählt, dass einer gefragt habe: ›Was hat Israel denn verbrochen, dass wir so hinter ihm her sind?‹ Der Kreisleiter sei aufgeregt aufgesprungen und habe geschrien: ›Verbrochen, Parteigenosse? Rosenhügel ist ein verdammter Jude. Das genügt doch wohl, wie?‹ Da habe sich der Frager geduckt. ›Es ist eine Schande für die ganze Partei im Kreis, dass das geschehen konnte. Irgendwo muss der dreckige Jud doch stecken‹, habe der Kreisleiter gesagt. Sogar der Wald wurde damals durchstreift. Schließlich ist die Angelegenheit vergessen worden und Dr. Lukowski konnte aufatmen.
    »Dr. Lukowski?«
    »Ja. Er hielt die drei nämlich in seinem Haus verborgen. Auf dem Boden hatte er ihnen zwei Kammern eingerichtet.«
    »Aber das war doch gefährlich. Zu einem Arzt kommen doch viele Leute.«
    »Zu gefährlich, Junge, das haben wohl fast alle in den letzten Jahren in Deutschland gedacht. Trotzdem hat Dr. Lukowski es getan. Die Hausklingel und das Telefon hatten eine zweite Klingel oben. So wussten die Gäste, wann sie ganz ruhig in ihrer Kammer ausharren mussten. Und es ging gut bis zur vorigen Woche. Der Strom war wieder einmal ausgefallen und die Klingel versagte. Da begegnete eine Patientin auf der Treppe dem alten Israel und erkannte ihn. Israel legte erschrocken und bittend einen Finger über den Mund. Der Frau lag nichts daran, den Juden zu verraten. Aber sie konnte die Neuigkeit nicht bei sich behalten und erzählte es der Nachbarin mit der Mahnung, nichts weiterzusagen. Und die ihrem Mann, und der dem Kreisleiter. Der wiederum war froh, eine alte Scharte auswetzen zu können, und meldete die Nachricht weiter. Die Geheime Staatspolizei durchsuchte in der gleichen Nacht noch das Haus des Arztes und fand ihn beim Packen seines Koffers. Die beiden Bodenkammern jedoch standen leer. Wieder waren die Vögel ausgeflogen. Dr. Lukowski schwieg beharrlich zu all ihren Fragen. Da zerrten sie ihn vor das Haus und erschossen ihn als Hochverräter.
    Der Pfarrer hat ihn am selben Tag noch beerdigt. In seiner Predigt hat er von dem guten Hirten gesprochen, der sich den reißenden Wölfen entgegengeworfen hat. ›Die Herde hat er gerettet mit seinem Blute und ist so ein Bild unseres Herrn geworden.‹ Am Nachmittag ist dann der Kreisleiter zum Pfarrer gegangen und seine Drohungen schallten hinaus aus dem Pfarrhaus bis auf die Straße. Wütend ist er herausgekommen mit blassem

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