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Das Jahr der Woelfe

Das Jahr der Woelfe

Titel: Das Jahr der Woelfe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Willi Faehrmann
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Holzhauses.
    »Weiter«, drängte die Mutter.
    Lotter fiel in Trab. Vater schwang sich auf den Bock. Konrad rückte neben ihn.
    Nun donnerte es hinter ihnen. Schuss auf Schuss. Aber die Einschläge blieben weiter zurück. Schließlich hatten sie den großen Wald erreicht. Konrad blickte sich noch einmal um. Rauch hatte Leschinen wie mit einem Schleier überzogen.
    Konrad nahm seine Uhr heraus. »Neun Uhr und dreißig Minuten«, kam es über seine Lippen, obwohl ihn niemand nach der Zeit gefragt hatte.
    »Wir fahren heute nur bis zur Tante in Eschenwalde«, sagte Vater. »Vielleicht können wir dann morgen zusammen mit Elisabeth weiterfliehen. Hoffentlich ist Eschenwalde weit genug«, zweifelte er.
    Nach einer Weile fragte er: »Habt ihr den Schinken aus dem Rauch auf dem Wagen?«
    »Nein.«
    »Und die Würste?«
    »Nur drei und drei Brote.«
    »Nun«, tröstete Vater, »die Hauptsache ist, dass wir mit heiler Haut davongekommen sind. Alles andere wird sich schon finden.«
    Insgeheim aber dachte er: Wie soll das nach drei Tagen mit uns werden? Sie schienen die Letzten zu sein, die geflohen waren. Der Schnee auf der Straße war zerstampft und zerwühlt von Rädern und Hufen. Aber Fuhrwerke sahen sie keine.
    »Bald werden wir wieder heim können.« Hedwig schien der Gedanke gar nicht zu kommen, dass die Flucht lange dauern könnte. »Die Soldaten jagen die Russen schon wieder zurück.«
    Gegen Mittag gelangten sie nach Eschenwalde. Mutter hatte ein wenig geschlafen und wachte erst auf, als der Wagen im Hof vor Tantes Haus hielt. Die rundliche Frau eilte herzu und begrüßte die Verwandten herzlich.
    »Ich habe schon auf euch gewartet. Kommt alle herein und trinkt eine Tasse Kaffee. Und für den Kleinen«, sie nahm Franz auf den Arm, »für den Kleinen gibt es süßen Brei.«
    »Wie ist es denn hier?«, erkundigte sich Vater.
    »Wir müssen morgen früh um elf Uhr weg sein. Sie kommen von Bromberg her und wollen uns einschnüren.«
    »Wie Großvater gesagt hat«, erinnerte sich Konrad.
    »Großvater«, flüsterte die Tante und schlug ein Kreuz. Schon in der Nacht hatte die Warczak die Nachricht bis hierher getragen.
    Konrad wandte sich an Hubertus: »Großvater hat es gewusst. Er hat genau gewusst, dass sie uns einkesseln wollen. Rache für Tannenberg.«
    »Großvater hat alles gewusst«, fügte Albert hinzu.
    »Hoffentlich ist Thomas mit Grete und den Kindern rechtzeitig weggekommen«, sagte Vater.
    »Wie ich Thomas kenne, wird er seine Uhrmacherwerkstatt erst im letzten Augenblick verlassen haben. Er ist ein Dickkopf«, meinte Tante Elisabeth.
    Sie waren kaum warm geworden, da stand Vater auf. Fest klang seine Stimme: »Es lässt mir keine Ruhe, dass wir das Haus unverschlossen gelassen haben. Außerdem sind unsere Vorräte gering. Ich gehe mit Konrad noch einmal nach Leschinen zurück.«
    »Johannes, das ist viel zu gefährlich.«
    »Ich kann mit dir gehen, Onkel«, bot sich Hubertus an.
    »Ein Mann gehört wenigstens ins Haus, Hubertus.« Vater ging zur Tür.
    »Johannes«, bat Mutter.
    »Es muss sein«, beharrte er.
    Konrad freute sich halb, dass Vater ihn mitnehmen wollte, halb schreckte ihn der Marsch in die Nacht. Er gestand sich den Wunsch nicht ein, lieber bei Mutter und Geschwistern zu bleiben. So zogen sie hinaus. Die Sonne war längst hinter dem Wald versunken, und es schien Konrad, als läge auf den Stämmen der Birken noch ein Hauch ihres rosigen Scheins.

13
    Im Wald war es fast dunkel. Ausgetreten zog sich der Pfad zwischen den Fichtenstämmen hin. Sie gingen nebeneinander. Vater legte die Hand auf Konrads Schulter.
    »Warum gehst du zurück, Vater?«
    »Ich denke, Junge, die Russen stoßen bei uns nur ganz langsam vor. Sie wollen zum Meer. Vielleicht gelingt es ihnen, Ostpreußen einzukesseln. Es mag sein, dass wir viele Tage unterwegs sind. Wir brauchen die Vorräte dringend.«
    Lange schwieg er.
    »Die meisten Menschen denken in den Zeiten der Not nur an die eigene Haut. Sie machen ihr Herz hart. Die sind ganz arm dran, die in diesen Tagen auf Hilfe von Fremden angewiesen sind. Deshalb, Junge.«
    »Werden die Menschen wie Wölfe, Vater?«
    Vater schien betroffen und zögerte mit der Antwort.
    »Es gibt auch andere«, widersprach er schließlich. »Dr. Lukowski war ein anderer.«
    »Was ist mit dem Arzt, Vater?«
    »Ich erzählte euch, dass er fort sei.«
    »Stimmt das nicht, Vater?« Konrad horchte auf. Vater sprach doch sonst nur die Wahrheit.
    »Ja, es stimmte. Doch er ist fort für immer.

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