Das Janus-Monster
sich die Hände der Spiegelfläche näherten. Sie schienen dabei größer zu werden, was allerdings eine optische Täuschung sein musste.
Acht Fingerspitzen und zwei Daumenkuppen lagen leicht auf der normalen Fläche. Sekunden verstrichen. Nichts passierte.
Shao war enttäuscht. Sie wollte ihre Hände zurückziehen, als sie die Veränderung mitbekam. Sie erreichte ausschließlich die Fingerkuppen.
Dort spürte sie das Kribbeln und auch so etwas wie einen leicht warmen Fluss, der über ihre Haut rieselte.
Es passierte etwas. Sie hatte eine Brücke schlagen können, und das Kribbeln war das erste Anzeichen.
Shao stoppte den Vorgang zunächst und blieb bewegungslos stehen, ohne allerdings die Hände von ihrem Ziel wegzunehmen. Sie war davon überzeugt, dass sich der erste Kontakt noch erhärten würde. Bisher war die Brücke noch sehr dünn. Und sie behielt recht.
Die Hände lagen ungefähr in der Mitte der Spiegelfläche. Shao dachte daran, dass ungefähr dort auch das Monstrum mit dem Janus-Kopf aus der anderen Welt hervorgekrochen war, und genau an dieser Stelle oder an diesen Stellen veränderte sich die Fläche.
Zwar blieb sie in der Härte gleich, aber sie gab plötzlich ihre normalen Ausmaße auf, und so konnte eine dritte Dimension entstehen, eine Tiefe. Shao gelang das räumliche Sehen in den Spiegel hinein. Aber diese Tiefe war nicht messbar, sie war der Zugang zu zwei verschiedenen Dimensionen, die nun nicht mehr getrennt waren.
Etwas hatte sich in der nicht messbaren Tiefe gebildet, ohne dort zu bleiben. Es drang nach vorn. Shao hielt den Atem an. Zunächst hatte sie das Gebilde nicht erkannt. Es war nicht das Monstrum, es war einfach zu schwammig, aber es entpuppte sich wenig später als die Wolke, die auch Glenda Perkins aufgefallen war.
Nebel, Rauch, Qualm, wie auch immer. Nur eben geruchlos, denn sie nahm nichts in dieser Richtung wahr. Dafür drängte sich die Wolke vor, und sie beeinträchtigte auch die Spiegelfläche, die plötzlich den blanken, spiegelnden Ausdruck verloren hatte und sich durch den Nebel grau zeigte.
Shao zog die Hände nicht zurück. Sie wollte den Kontakt aufrechterhalten, weil sie davon überzeugt war, dass er in der nahen Zukunft eine große Rolle spielte.
Sie wartete auf dem Fleck stehend. Unterdrückte jede Bewegung, auch wenn es ihr schwer fiel. Und sie hatte damit genau das richtige getan.
Innerhalb der Nebelwolke geriet das Zentrum in Bewegung. Dort drehte sich der Nebel wie in einer Quirlmaschine und ging nach kurzer Zeit auch zur Seite geschoben, so dass Shao ein freies Blickfeld erhielt.
Sie hörte hinter sich einen leisen Schrei, dem ein erstickt klingender Laut folgte. Nur Glenda konnte so reagiert haben, denn sie erlebte das gleiche wie schon einmal, nur diesmal mit etwas veränderten Vorzeichen. Shao kümmerte sich nicht darum. Für sie war es wichtiger, den Kontakt zu halten. Der Nebel hatte sich ihrer Meinung nach nicht grundlos bewegt. Da gab es ein Geheimnis, das in ihm versteckt lag, und sie wollte es herausfinden.
Etwas bewegte sich nach vorn. Es stieß hinein in das Loch, und es besaß auch eine andere Farbe. Es war nicht grau, dafür grünlich.
Shao dachte an die Beschreibung des Monsters. Glenda hatte es als grün bezeichnet. Eine grüne, widerliche Haut, dann der Kopf mit den beiden Gesichtern.
Es gab für Shao keinen Zweifel mehr. Innerhalb des Spiegels zeichnete sich das Monster ab!
Sie wusste nicht, was sie unternehmen sollte. Eine Chance, um den Kampf gegen es zu gewinnen, hatte sie nicht. Schon der erste Blick hatte ausgereicht, und er hatte ihr klargemacht, dass Glenda bei ihrer Beschreibung mit keinem Wort übertrieben hatte.
Es war so scheußlich, so widerlich. Auf den Schultern wuchs dieser Schädel, unter dem sich kein Hals abzeichnete. Kopf und Körper bildeten da eine Einheit.
Ein widerlicher Kopf. Das dicke, grüne Gesicht. Die kleine Nase, die wulstigen Lippen, die bösen Augen. Der Ansatz des Körpers, der so muskelbepackt aussah wie der eines Weltmeisters aus dem Fitness-Studio. Es war eine gewaltige und abartige Gestalt, deren geschlitzte Augen wie eine in das Gesicht hineingeschnittene Spalte wirkten.
Es bewegte seinen Kopf nicht vor. Dafür allerdings die Arme und die Hände, die es nach vorn streckte, als sollte Glenda von ihnen erfasst werden.
Jetzt fielen ihr auch die Finger auf. Es waren lange Stäbe mit Spitzen an den Enden. Sie bewegten sich zitternd hin und her, um einen bestimmten Gruß abzugeben.
Einmal war
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