Das Jesus Video
aber er wußte nicht, was zerstört werden würde. Bestimmt ist er nicht auf die Idee gekommen, daß die untere Hälfte der Mauer im Erdreich vergraben würde. Es fällt ja sogar mir schwer, mir das vorzustellen.«
»Er dachte, die zweite Lage der Tempelmauer ist auch die zweite Lage der Klagemauer«, nickte Yehoshuah.
»Genau. Denn so, wie er die Entfernung von der Südwestecke des Tempels gewählt hat, hat er eindeutig auf die Klagemauer gezielt. Er wollte die Kamera in der Klagemauer verstecken.«
Judith schüttelte den Kopf.»Verrückt. Aber wahrscheinlich hast du recht. Er hat danebengetroffen.«
»Zwanzig Meter zu tief«, ergänzte Yehoshuah.
»Frage ist«, fuhr Stephen nachdenklich fort,»was wir jetzt machen.«
»Was willst du denn da noch machen?«
»Zwanzig Meter Erdreich sind heutzutage doch kein Problem. Ein, zwei Tage mit dem Bagger, und das Ding ist ausgegraben.«
Yehoshuah schnappte hörbar nach Luft.»Mann«, stieß er dann fassungslos hervor.»Mann! Du hast wirklich Phantasie. Wie stellst du dir das denn vor?«
»Wieso? Man entfernt die Platten, mit denen der Platz ausgelegt ist, baggert ein Loch an der Mauer abwärts, tastet die in Frage kommenden Mauersteine mit einem guten Metallsuchgerät ab…«
»Erstens ist unter dem Platz nicht einfach simples Erdreich, sondern zweitausend Jahre Stadtgeschichte«, korrigierte Yehoshuah ihn.»Und zweitens ist alles heilig, heilig, heilig. Vergiß es. Vergiß die Idee, daß hier jemals ein Bagger stehen wird.«
Na ja. Das wäre ja auch zu einfach gewesen. Stephen sah sich mißmutig um. Er weigerte sich, zu kapitulieren. Wenn sie wenigstens noch die Briefe gehabt hätten, als Beweisstücke.
Er schüttelte den Kopf.»Ich werde diese Kamera bergen«, erklärte er und kam sich leicht irre vor dabei.»Ich weiß es. Ich weiß nur noch nicht, wie.«
Judith legte den Arm um ihn, ohne etwas zu sagen. So standen sie eine Weile, und die Unrast seiner Gedanken legte sich.
Aber die Gewißheit wich trotzdem nicht. Er würde diese Kamera bergen. Er redete sich nicht nur Mut zu, wenn er das sagte. Seit er wußte, wie sie aussah, hatte er immer öfter das eigenartige Gefühl in den Fingern, als hielte er sie schon in Händen. Als würde die Zeit allmählich durchlässig. Als erlaube sie ihm ab und zu den Vorgriff auf eine Zukunft, auf Ereignisse, die unausweichlich geschehen würden.
Die Zeit…
Ein seltsames Geräusch erregte seine Aufmerksamkeit, eine Art mächtiges Summen. Er wandte den Kopf. Es drang aus den Fenstern eines benachbarten Gebäudes und war bei genauem Hinhören ein vielstimmiges, lautstarkes Rezitie ren.»Eine Talmudschule«, meinte Judith.
Sein Blick wanderte ziellos weiter, über die Leute, die kamen und gingen, über das Ausgrabungsgebiet, auf dem ebenfalls Besucher zu sehen waren. Man konnte es wohl besichtigen. Dicht an der kolossalen Mauer stand ein kleines graues Zelt, das aussah wie die Art Zelte, die zu Hause von Kanalarbeitern benutzt wurden. Ein Mann kam heraus, der ein Kabel hinter sich her zog.
»Sag mal«, stutzte Stephen.»Den kennen wir doch.«
»Was?«fragte Judith.»Wen?«
»Na, den.«Er deutete auf den Mann mit dem Kabel.Die dürre, fragezeichenartige Gestalt war unverkennbar. Es war George Martinez.
Scarfaro hatte die Führung an sich gerissen, und er führte ein hartes Regiment.
»Alles klargegangen?«fragte er, als Pater Lukas wieder zurück war.
Lukas nickte nur, bemüht, sich seinen wachsenden inneren Widerstand gegen die herrische Art des Mannes aus Rom nicht anmerken zu lassen. Es war Arbeit gewesen, den wahrscheinlich einzigen Automechaniker katholischen Glaubens in Jerusalem ausfindig zu machen. Als er den Wagen abgegeben hatte, hatte sich seine Überzeugung verfestigt, daß die Religionszugehörigkeit kein sinnvolles Auswahlkriterium für die Qualität einer Werkstatt war: Er persönlich hätte in der schmierigen Kaschemme, die er vorgefunden hatte, nicht einmal eine Delle im Blech ausbeulen lassen, oder wenn, dann hätte er das Fahrzeug keinen Augenblick aus den Augen gelassen.
»Wir werden solange Ihren vw-Bus benutzen«, fuhr Scarfaro fort.
»Ich fürchte, das geht nicht«, begehrte Lukas mit mühsam gebändigter Entschiedenheit auf.
Der andere musterte ihn aus starren, kalten Augen.»Ach ja? Wieso nicht?«
»Wir, ahm, benötigen ihn zum Abholen der Lebensmittel.«Warum wurde er nervös? Das klang ja so, als denke er sich gerade irgendeine Lüge aus.
»Welcher Lebensmittel?«
»Für die
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