Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Jesus Video

Das Jesus Video

Titel: Das Jesus Video Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Eschbach
Vom Netzwerk:
Welt in ihn hineinsehen kann.«
    Damit legte er einen Sperriegel vor. Stephen starrte mit wachsendem Unbehagen auf das hölzerne Gebilde, das, groß wie ein Waschzuber, an der zu einem beeindruckenden Umfang aufgerollten Kette hing. Er hatte verstanden, daß Bruder Gregor von ihnen erwartete, sich mit diesem Schöpfeimer in unbekannte Tiefen abseilen zu lassen.
    »Wie lang ist dieser Fluchtgang?«fragte er.
    »Ich weiß es nicht«, gestand der Mönch.»Ich habe ihn nie gesehen.«
    Einen Herzschlag lang standen sie alle stumm. Über ihnen trommelten Füße und waren laute Stimmen zu hören, wenn auch nicht zu verstehen. Ein Schlag, Holz auf Holz, dröhnte plötzlich durch die Katakomben und ließ sie zusammenzukken. Das mußte aus dem Beinhaus gekommen sein. Man war ihnen schon auf der Spur, suchte nur noch den Abstieg.
    Stephen legte die Hand auf den Beutel, in dem war, was er gesucht hatte. Merkwürdig, daß er nichts dabei empfand. Er kam sich seltsam vor mit dem Ledersack vor der Brust, wie ein Känguruh, das sein Junges im Beutel trug. Aber da war kein Triumph, keine Genugtuung. Vielleicht ging alles einfach zu schnell.
    »Okay«, sagte er.»Ich gehe.«
    »Stephen!«mahnte Judith.»Du bist wahnsinnig. Du willst dich allen Ernstes in diesen Brunnen hinunterlassen?«
    Er sah sie an, dann das unergründlich schwarze Loch im Boden. Ihm war, als habe er von Anfang an gewußt, daß ihn sein Weg dort hinabführen würde. Er tätschelte den Lederbeutel.»Wir haben es gefunden«, meinte er leise.»Wir!«
    »Und dann? Selbst wenn dort ein Gang hinausführt — was dann?«
    »Vielleicht komme ich an unser Auto heran.«
    »Das ist Unsinn!«flüsterte sie, und es klang wie ein Schrei.
    Der Mönch sah unruhig hin und her. Ein neuer Schlag hallte durch die Gänge.»Du mußt dich beeilen«, drängte er.»Sonst ist es zu spät.«
    Stephen stieg in den baumelnden Zuber, hielt sich an der Kette fest. Ein Gefühl der Beklemmung stieg in ihm hoch, als er hinabsah und das lichtlose Rund sah, ein dunkles Maul, bereit, ihn zu verschlingen. Er mußte sich zwingen, weiter zu atmen. Und wenn dort unten überhaupt kein Gang ist? Dann sitzt du am Grund eines Brunnens, der wer weiß wie tief ist, und bist verloren! Unsinn, sagte er sich, Yehoshuah und Judith blieben hier; sie würden dafür sorgen, daß man ihn im schlimmsten Fall barg. Aber wenn irgend etwas schiefgeht, irgend etwas…? Atmen. Nicht aufhören zu atmen.
    »Okay«, keuchte er und hatte das Gefühl, daß seine Augen groß und weit aufgerissen waren, daß Panik aus ihnen sprach, aber er konnte nichts dagegen machen.»Macht schon.«
    Judith, die ihn die ganze Zeit angesehen und auf ihrer Unterlippe gekaut hatte, gab sich plötzlich einen Ruck, trat vor und stieg zu ihm in den Schöpfeimer.»Ich gehe mit«, verkündete sie. Sie umklammerte die gleiche Kette wie Stephen, der sie ungläubig ansah. Ihre Augenlider zitterten, ihre Kiefermuskeln traten hervor vor Anspannung.»Und jetzt schnell, Yehoshuah, sonst sind die da, ehe wir unten sind!«
    Schnell, sonst überlege ich es mir anders!
    Yehoshuah nickte, schluckend, trat neben den greisen Mönch an das Handrad.»Ken, beseder.«
    »Und laß uns nicht fallen, hörst du?«
    Statt einer Antwort klackte der Sperriegel, und sie ruckten abrupt ein Stück nach unten, verschwanden bis zu den Knien im Schwarzen. Dann hatten Yehoshuah und Bruder Gregor das Handrad im Griff, gaben nach und nach Kette, in gleichmäßigen Schritten. Es ging abwärts, unaufhaltsam. In letzter Sekunde stieg ein wilder Impuls in Stephen auf, alles aufzuhalten, hinauszuspringen, alles, nur nicht in diesem bodenlosen Schlund zu versinken! Doch es war zu spät. Der Brunnenrand reichte ihnen bis zur Schulter, dann, einen Ruck später, waren sie darin versunken. Mit dem letzten Blick sahen sie einander in die Augen, und jeder las Furcht im Blick des anderen.
    Wie schön sie ist! zuckte es durch Stephens Gedanken. Das Nachbild von Judiths Gesicht verblaßte langsam, während sie tiefer und tiefer in der Schwärze versanken. Im nächsten Augenblick fühlte er, wie sie einen Arm um ihn schlang, seinen Mund mit dem ihren suchte und ihn küßte, als sei es besiegelt, daß sie am Grund des Schachtes sterben würden.

35
    An dem Überfall auf das Kloster waren sowohl Männer beteiligt, die zu John Kauns ständigem Sicherheitsstab gehörten, als auch Angestellte israelischer Sicherheitsfirmen, die ursprünglich zur Bewachung der Ausgrabungsstätten engagiert worden waren. Als

Weitere Kostenlose Bücher