Das Jesusfragment
verstehen gab, dass sie nichts kapierte. Ich nahm mein Handy vom Ohr und sah auf das Display, doch es wurde keine Nummer übermittelt. Rasch stand ich auf, um einen Kugelschreiber und den Notizblock von gestern zu holen, und notierte den Namen meines Gesprächspartners: Giuseppe Azzaro.
»Tut mir Leid, nein, ich habe das Dokument, das Sie meinen, nicht mehr in meinem Besitz. Das Haus meines Vaters ist nämlich abgebrannt, wissen Sie. Bei welcher Gelegenheit haben Sie meinen Vater eigentlich kennen gelernt?«
Er legte unvermittelt auf.
»Was soll denn dieser Schwachsinn?«, rief ich erbost und schaltete mein Handy aus.
»Wer war das?«, fragte Sophie ungeduldig.
»Ein Typ, der sich als Journalist bei La Stampa ausgibt und behauptet, mein Vater habe versprochen, ihm Dürers Manuskript zu schicken.«
»Das würde mich wundern«, spöttelte Sophie. »Ein italienischer Journalist? Ihr Vater hätte mir bestimmt von ihm erzählt, oder nicht?«
»Ja, und vor allem hätte ein Journalist nicht den Hörer aufgelegt, nachdem ich ihn um nähere Erklärungen gebeten habe.«
Sie stand auf und gab mir ein Zeichen, ihr in den ersten Stock zu folgen, wo sie meinen Computer einschaltete. Dann suchte sie im Internet die Telefonnummer von La Stampa heraus, rief in Rom an und fragte die Telefonistin in einem Italienisch, das für mich perfekt klang, ob jemand namens Giuseppe Azzaro in der Redaktion arbeitete. Das war offensichtlich nicht der Fall.
»Ich würde einiges dafür geben, wenn ich wüsste, wer der Kerl war«, rief ich aufgeregt, »und ich würde auch gern wissen, wie er an meine Telefonnummer gekommen ist.«
»Und natürlich war seine Nummer unterdrückt.«
»Ja! Aber vielleicht gibt es eine Möglichkeit, sie bei der Telefongesellschaft in Erfahrung zu bringen.«
»Unmöglich. Die dürfen sie nicht herausgeben.«
»Nun gut, aber da es sich um einen besonderen Fall handelt, kann man sie vielleicht dazu bringen nachzuforschen«, wandte ich ein.
»Es bedarf sicherlich einer richterlichen Verordnung, um Ihren Anbieter zu verpflichten, die Nummer für polizeiliche Ermittlungen herauszugeben. Dann würde die Nummer aber der Polizei mitgeteilt werden und nicht Ihnen. Also vergessen Sie's!«
»Wir brauchen ja nur die Bullen in Gordes zu fragen«, scherzte ich.
»Ja, oder Ihren Freund, den Abgeordneten!«
»Das ist nicht sein Ressort. Sie kennen nicht zufällig jemanden, der uns diese verdammte Nummer besorgen könnte? Sie arbeiten doch für Canal Plus, nicht wahr? Canal Plus und Vivendi und schon sind wir beim SFR, oder nicht?«
Sie lächelte und zögerte kurz.
»Ich kenne jemanden beim Verfassungsschutz, der mir noch einen Gefallen schuldet, aber wissen Sie, es ärgert mich, mein ganzes Pulver zu verschießen, nur um diese elende Nummer zu bekommen.«
»Aber das ist im Augenblick fast die einzige Spur, die wir haben.«
»Das ist keine echte Spur. Vielleicht war es tatsächlich ein Journalist, der von all dem wie auch immer gehört hat und nun versucht, Informationen aus Ihnen herauszulocken.«
»Natürlich!«, grinste ich.
Sie zog eine Grimasse. Ich reichte ihr mein Handy.
»Los, Sophie, tun Sie es! Irgendwo müssen wir doch unsere Nachforschung beginnen!«
Sie fügte sich seufzend und rief bei ihrem Bekannten beim Verfassungsschutz an. Ich machte es mir in meinem Sessel bequem und bewunderte die Überredungskunst dieser Journalistin. Der Typ am anderen Ende der Leitung ließ sich eine halbe Stunde lang bitten, bevor er Sophie erklärte, er werde ›schauen, was sich tun lasse‹. Sophie ballte die Faust zum Zeichen des Sieges und gab mir stolz mein Handy zurück. Ich erhob mich und küsste sie auf die Wange.
»Gut gemacht!«, beglückwünschte ich sie.
Dann gingen wir hinunter, um gemeinsam unser Frühstück zu beenden. Ich beobachtete sie auf der Treppe. Sie hatte einen unglaublichen Gang, wiegte sich in den Hüften wie eine träge Raubkatze.
Ich muss aufhören, den ganzen Tag auf ihren Hintern zu starren! Ich bekomme sonst noch einen steifen Hals.
Wir nahmen wieder am Frühstückstisch Platz, und sie schenkte mir eine Tasse Kaffee ein.
»Der Kerl am anderen Ende der Leitung hat im Zusammenhang mit Dürers Manuskript einen Namen genannt«, sagte ich, nachdem ich einen Schluck getrunken hatte. »Ich weiß nicht, ob es Italienisch oder Latein war.«
»Melancolia?«, schlug Sophie vor.
Ich nickte.
»Das ist der Name des Kupferstichs, auf den sich das Manuskript bezieht«, erklärte sie. »Dürers
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