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Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)

Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)

Titel: Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Terry Pratchett , Jack Cohen , Ian Stewart
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in diesem um ihn selbst zentrierten Bezugsrahmen umschreiben. In gewissem Sinn ist es also eine willkürliche Festlegung, was sich im Mittelpunkt befindet und was umläuft.
    Es gibt jedoch ein anderes philosophisches Prinzip, Ockhams Rasiermesser, welches nahelegt, dass diese Wahlfreiheit nicht viel zu bedeuten hat. Wilhelm von Ockham (oder William of Occam) wird das philosophische Prinzip zugeschrieben, wonach »Wesenheiten nicht über das notwendige Maß hinaus vermehrt werden sollen«.* [* Dieser Satz ist in seinen umfangreichen Schriften nicht zu finden, möglicherweise stammt er von dem irischen Theologen John Punch. Der Satz in Ockhams Werk, der ihm am nächsten kommt, ist »Pluralität darf nie ohne Notwendigkeit angenommen werden« in den Sentenzen des Petrus Lombardus von 1495. Nicht so prägnant. [Der Satz muss dann in der Fassung von 1495 nachträglich eingefügt worden sein, denn die Sentenzen sind 1158 entstanden, also deutlich vor Wilhelm von Ockham. – Anm. d. Übers. ]] Man pflegt dies in dem Sinn zu interpretieren, dass »einfache Erklärungen besser sind als komplexe«, doch das geht über das tatsächlich von Wilhelm Gesagte hinaus. Er zielte darauf ab, dass es albern ist, Eigenschaften einzubeziehen, die weggelassen werden können, ohne dass sich grundlegend etwas ändert. Komplexe Erklärungen sind oft besser als einfache, aber nur dann, wenn die einfachen nicht genügen. Wie man auch Ockhams Rasiermesser interpretiert, eine Vielzahl von Epizykeln wird von einer einzigen geschlagen, auch wenn diese einem anderen Körper zugeordnet werden muss.
    In einem der Erde zugeordneten Bezugsrahmen werden die Bewegungsgesetze außerordentlich kompliziert. Die nächstgelegene große Galaxis, M31 in der Andromeda, ungefähr 2,6 Millionen Lichtjahre entfernt, muss alle 24 Stunden um die Erde herumwirbeln. Weiter entfernte Objekte – der gegenwärtige Rekord liegt bei etwa 13,2 Milliarden Lichtjahren – müssen sogar noch befremdlichere Volten schlagen. Wenn wir hingegen einen Bezugsrahmen mit der Sonne im Zentrum wählen – und stationär relativ zu den durchschnittlichen Positionen die Sterne –, dann wird die Mathematik entschieden einfacher und die Physik mitsamt der Metaphysik viel plausibler. Wenn man die Gravitationswirkung anderer Körper vernachlässigt, umkreisen Sonne und Erde beide ihr gemeinsames Schwerezentrum in Ellipsen. Weil aber die Sonne erheblich massereicher ist als die Erde, liegt dieses Zentrum noch innerhalb der Sonne. Also … kreist die Erde um die Sonne. Wir denken törichterweise, die Erde sei stationär, weil sie es relativ zu uns ist. (Entschuldigung, immer noch zu menschenbezogen. Es muss heißen »weil wir es relativ zu ihr sind«.)
    Lektion gelernt – nach mehreren Jahrhunderten, einigen Verbrennungen und einer Menge Scherereien. Aber das war erst das Vorspiel. Als die Astronomen erkannten, dass ferne Lichtflecken Galaxien sind, wirbelnde Massen, die aus Milliarden von Sternen bestehen, ging ihnen schließlich ein Licht auf: Die vertraute Milchstraße ist kein Zufall – es ist unsere eigene Galaxis, von innen und von der Kante gesehen. Natürlich sollte unsere Sonne im Zentrum der Galaxis stehen … Nun ja, in Wahrheit befindet sie sich in einer sehr unscheinbaren Region etwa zwei Drittel des Wegs vom Galaxiskern zum Rand hin, in der Nähe eines der Spiralarme der Galaxis, des Orion-Arms. Die glorreich strahlende Sonne ist nur ein Stern (noch dazu ein ziemlich schwächlicher) unter Tausenden in der Lokalen Flocke, die ihrerseits in der Lokalen Blase liegt. Die Sonne liegt nicht einmal in der galaktischen Ebene, sondern etwa 57 Lichtjahre (plus/minus 41) davon entfernt.
    Nach etlichen Jahrhunderten, in denen jeder neue Versuch entzaubert wurde, die Menschheit als etwas Besonderes darzustellen, wurde das kopernikanische Prinzip in der Grundlagenphysik als Verallgemeinerung von Einsteins Grundprinzip der Relativität eingebettet: Es gibt keinen privilegierten Beobachter.
    Weiter oben haben wir gesagt, eine wichtige Motivation hinter der wissenschaftlichen Methode liege in dem Wissen, dass Menschen etwas glauben, weil sie es glauben wollen oder weil eine Gehirnwäsche der Gesellschaft sie dazu gebracht hat, es zu wollen. Religionen nutzen diese Neigung aus, indem sie dem Glauben höchste Priorität zumessen: Glaubensstärke geht über gegenteilige oder fehlende Beweise. Die Wissenschaft versucht dieser Neigung bewusst entgegenzuwirken, indem sie überzeugendes Beweismaterial

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