Das Jüngste Gericht: Die Wissenschaft der Scheibenwelt 4 (German Edition)
wundersamen, ragte
ein Thron empor und zeigte hoch erhoben
ihn, dessen Lotoshaube seine schlanken,
schrecklichen Windungen in unheilvoller
Schönheit bekrönt – den großen Mahapadma;
er trägt des Todes Thron.
Dieses Geschöpf ist jedoch eindeutig eine riesige Kobra – es sei denn, man hält die Lotoshaube für die Ohren des Elefanten.
An diesen Geschichten interessiert uns im gegenwärtigen Zusammenhang vor allem die vergleichende Mythologie. Die Schöpfungsmythen vieler alter Kulturen enthalten sehr ähnliche Elemente. Es ist verlockend, diese Ähnlichkeiten aus kulturübergreifenden Kontakten zu erklären. Es wird immer deutlicher, dass die Welt des Altertums zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten weiter fortgeschritten war, als wir uns früher vorstellten, und es gibt gute archäologische Hinweise auf Handel über viel größere Entfernungen, als üblicherweise angenommen wurde. Dennoch sollte man der Verlockung wohl lieber widerstehen, weil andere Erklärungen plausibler sind. Eine davon ist die kulturelle Konvergenz, bewirkt von der menschlichen Psychologie und ähnlichen Umweltbedingungen.
Bilder wie das von der Erde, die aus dem Urozean aufsteigt, scheinen intelligenten, aber uninformierten Menschen naturgemäß in den Sinn zu kommen, wenn sie mithilfe menschenbezogenen Denkens die Herkunft ihrer Welt zu erklären versuchen. Meere heben und senken sich mit den Gezeiten, Felsen erscheinen und verschwinden. Niedrige Hügel werden von Fluten überschwemmt und kommen wieder zum Vorschein, wenn das Wasser zurückgeht. Wir holen uns Inspiration aus der Natur, steigern sie auf Überlebensgröße und benutzen unsere eigenen Erfindungen, um zu erklären, was wir nicht verstehen. Schöpfungsmythen eröffnen Einblicke in die menschliche Psyche. Allgegenwärtige Naturerscheinungen wie Meere, Berge, Vulkane und Erdbeben legen ähnliche übernatürliche Erklärungen nahe. Menschen, die in einem Land mit vielen Opposums und Jaguaren leben, entwickeln folgerichtig Opposum- und Jaguargötter.
In vielerlei Hinsicht sind die Unterschiede zwischen den Mythologien in unterschiedlichen Kulturen deren kennzeichnendste Züge. Sie legen die Vermutung nahe, dass die Ähnlichkeiten oft infolge einer Art konvergenter Evolution entstehen, bei der dieselbe allgemeine übernatürliche Erklärung unabhängig aufkommt, weil sie einer bestimmten Logik folgt – oft von der Art der Scheibenwelt-Logik –, die den menschlichen Geist anspricht. Etwa wenn der Donner damit erklärt wird, dass Götter mit Gegenständen werfen.
Interessant ist auch zu beobachten, wie sich Mythen nach Art der »stillen Post« entwickeln, wenn sie mündlich weitergegeben werden. Aus Schlangen werden Elefanten. Selbst wenn die Mythen in schriftlicher Form bewahrt wurden, unterlagen sie noch gravierenden Veränderungen, ehe die Erfindung des Buchdrucks eine Massenproduktion ermöglichte. Sogar heute können sich viele von uns an die allgemeinen Züge eines Witzes oder einer Geschichte erinnern, nicht aber an die Namen der handelnden Personen. In Mathematikerkreisen gibt es einige Standardgeschichten über berühmte Kollegen. Die Geschichten ändern sich nie, oft aber die Namen der berühmten Kollegen. Entscheidend ist, dass sie berühmt sein müssen. Ansonsten ist es nicht weiter wichtig, wer es war. Die Geschichte ist ebenso komisch, gleichgültig, für wen man sich entscheidet. Der Schildkrötenwitz im nächsten Abschnitt ist ein Beispiel dafür.
Die Logik der Mythologie kann mitunter auch etwas Licht in wissenschaftliche Fragen bringen, indem sie uns an den Hauptgrund erinnert, weshalb die wissenschaftliche Methode eingeführt wurde: die menschliche Neigung zur Selbsttäuschung. Wir akzeptieren gar zu leicht manche Arten von Beweisen oder manche Typen von Argumenten, wenn sie bestätigen, was wir gern glauben möchten. Wir neigen dazu, sie abzulehnen, wenn sie im Widerstreit mit unseren Annahmen liegen.
2012 stellte eine Umfrage des Gallup-Institutes fest, dass 46 Prozent der amerikanischen Erwachsenen der Aussage zustimmten: »Gott hat die Menschen ziemlich genau in ihrer heutigen Gestalt erschaffen, und zwar zu einem Zeitpunkt innerhalb der letzten zehntausend Jahre ungefähr.« 32 Prozent stimmten der Ansicht zu: »Die Menschen entwickelten sich im Lauf von Jahrmillionen aus weniger hoch entwickelten Lebensformen, doch Gott hat diesen Prozess gelenkt.« 15 Prozent glaubten: »Die Menschen entwickelten sich im Lauf von Jahrmillionen aus
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