Das juengste Gericht
wenn ich trotzdem noch einmal auf seine sexuellen Neigungen komme. Hatten Sie während der Zeit Ihres Zusammenlebens Anlass für die Annahme, dass Herr Krawinckel seine sexuelle Erfüllung auf eher ungewöhnliche Weise suchte?«
Frau Janssen lachte auf. Sie griff zu einem Plätzchen und kaute darauf herum. Ihr Gesichtsausdruck zeigte versteckte Verlegenheit. »Sie dürfen ruhig deutlicher werden. Ich vertrage das. Sicher gab es die eine oder andere Besonderheit, aus der Sie Schlüsse ziehen können. Beweise habe ich nicht. Bemerkenswert ist, dass die Ehe zwischen Phillip und mir nie vollzogen worden ist.«
»Heißt das, Sie haben während der ganzen Zeit Ihrer Ehe nicht ein einziges Mal miteinander geschlafen?«
»Es ist so, dass Phillip durchaus immer motiviert war. Allein seine körperlichen Reaktionen ließen das nicht zu, wenn Sie verstehen, was ich meine. Er litt anfänglich sehr darunter. Ab irgendeinem Zeitpunkt haben wir dann intime Begegnungen vermieden.«
»Das ist in der Tat sehr ungewöhnlich. Ich bin Ihnen für Ihre Offenheit sehr dankbar. Vielleicht können aus dem Unvermögen Ihres Mannes Schlüsse gezogen werden. Sie bleiben aber dabei, dass Sie keine Kenntnisse von irgendwelchen abartigen Ersatzhandlungen erlangen konnten?«
Veronika Janssen nickte. »Ich habe Ihnen dazu alles gesagt.«
»War diese körperliche Unfähigkeit Ihres Mannes für Sie kein
Anlass zu einer Trennung?«
»Daran habe ich zwar immer wieder gedacht. Doch dann tat er mir ein um das andere Mal leid. Er war so gutmütig, humorvoll und so kultiviert. Mit seinen starken inneren Werten glich er den körperlichen Mangel weitgehend aus. Im Übrigen war er nicht nur finanziell großzügig, sondern auch in unserer Beziehung tolerant. Phillip kontrollierte nicht und stellte keine Fragen. Mehr möchte ich dazu nicht sagen.«
Schreiner trank den letzten Schluck Kaffee. Er hatte das dringende Bedürfnis, sich zu sammeln und die Aussage von Frau Janssen in ihrer Tragweite zu überdenken. Die nächste Zigarette wollte er sich für draußen aufheben. Noch immer wurde er das Gefühl nicht ganz los, dass sie ihn verwirrte und am klaren Denken hinderte. Er spürte, ja er wusste, dass ihre letzten Angaben außerordentlich wichtig waren. Sie bildeten irgendeine Brücke zu dem bisherigen Ermittlungsergebnis. Er war innerlich aufgewühlt und wütend, weil ihm einfach der Anknüpfungspunkt nicht einfallen wollte. Mit schweren Beinen stand er auf, dankte und verabschiedete sich.
30. Kapitel
»Domo! Domo arrigato!«, schallten die Dankesrufe aus etwa zwanzig Kehlen japanischer Touristen durch die Lobby des Arabella Grand Hotels. Soweit die Gäste nicht gerade mit Fotoaufnahmen befasst waren, verbeugten sie sich im Takt vor einer für Schultz nicht sichtbaren Person in Höhe der Rezeption.
Gerade erreichte Schultz den oberen Absatz der marmornen Wendeltreppe hinter der Eingangshalle des Hotels und fühlte sich erleichtert. Zwar waren es von der Staatsanwaltschaft aus nur wenige Schritte zum Hotel. Doch der Behördenkaffee zum Nachspülen der rasch heruntergeschlungenen Schwarzwälder Kirschtorte aus der Justizkantine hatte ihn unmittelbar die Toilette aufsuchen lassen.
Er durchquerte die Bar und bewegte sich auf die Wasserkaskaden im Foyer zu. Bewundernd verfolgte er die in handbreiten Flächen herabrieselnden Rinnsale, die sich fortwährend in einem in den Boden eingelassenen Brunnen fingen, der doch niemals überlief. Schultz liebte derartige technische Spielereien, ohne dass er die zugrunde liegenden Abläufe verstanden hätte.
Plötzlich spürte er eine Hand auf seiner Schulter. Er drehte sich um und sah in das Gesicht seines Kollegen Diener, der ihn anlachte. »Na? Weckt dieser Anblick bei dir Erinnerungen?«
»Gut, dass du schon da bist, Augustin. Ich hatte dir einen Zettel auf den Schreibtisch gelegt und war vorgegangen, weil ich nicht wusste, wann du wieder auftauchen würdest. Wir brauchen dich vielleicht morgen als Verstärkung. Ich habe die Herren Köhler und Schreiner vorhin telefonisch auf 15:00 Uhr zur Besprechung über die weitere Vorgehensweise im Fall Sunita hierher eingeladen.« Schultz setzte einen irritierten Blick auf. »Worauf hast du eigentlich eben angespielt?«
»Mir fiel die Anekdote ein, wegen der du bei der Polizei in so hohem Ansehen stehst. Du weißt. Vor ein paar Jahren hast du auf der Suche nach einem Tatwerkzeug bei einem Verdächtigen im Hintertaunus dessen gesamten Forellenteich abpumpen lassen.«
Schultz
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