Das juengste Gericht
zweiter Schelle war Mike Kellermann festgemacht. Neben Kellermann betrat ein dicklicher blonder Mann im dunkelblauen Anzug den Raum, der sich als Rechtsanwalt Flach vorstellte und ebenso wie Schreiner die Anwesenden begrüßte.
»Soll ich hierbleiben?«, fragte der Uniformierte.
Schultz schüttelte den Kopf. »Nicht nötig. Wir haben genügend Polizeikräfte hier. Schließen Sie ihn bitte los.«
Kellermann wirkte völlig verstört. Man sah ihm an, dass er mit diesem Teil der Staatsgewalt noch nicht in Berührung gekommen war. Er hatte Angst. Seine Augen waren eingefallen, seine Lippen zitterten. Gelegentlich zuckte sein Kopf kurz zur Seite. Von dem selbstsicheren Auftreten in seiner vertrauten Bad Homburger Umgebung war nichts übrig geblieben. Er rieb sich das freigeschlossene Handgelenk. »Darf ich mich setzen?«
Schultz gab ihm die Hand. »Selbstverständlich. Nehmen Sie bitte Platz.« Anschließend belehrte er ihn über seine Rechte. »Ich hoffe, Sie haben das alles verstanden, Herr Kellermann. Sie sind hier, weil wir Sie eines Verbrechens verdächtigen. Das hat Ihnen bestimmt Herr Schreiner schon bei Ihrer vorläufigen Festnahme eröffnet. Wir werfen Ihnen vor, am 1. November Sunita Beuchert getötet zu haben. Sie konnten sich schon mit Ihrem Pflichtverteidiger, Herrn Rechtsanwalt Flach, beraten. Wollen Sie eine Aussage machen?«
Flach setze eine wichtige Miene auf. »Mein Mandant ist auf meine Verteidigungslinie eingestellt. Wir haben nichts zu verbergen. Herr Kellermann wird Angaben machen und aufzeigen, dass der Vorwurf absurd ist.«
Durch den Kaffee, den Diener ihm eingeschenkt hatte, war Kellermanns Verängstigung ein wenig gewichen. Seine Haltung zeigte, dass sein altes Selbstbewusstsein langsam wiederkam. »Darf ich fragen, wie Sie überhaupt darauf kommen, mich zu verdächtigen? Ich verstehe gar nicht, wie Sie mich mit dem Tod der armen Sunita in Verbindung bringen können.«
Schultz rieb sich gerade mit gequältem Gesicht den Nacken. Er hatte vergessen, aus seinem neuen Hemd das Etikett herauszuschneiden, das ihn nun ständig am Hals kratzte. Ruckartig richtete er sich auf. »Wir haben am Tatort eine goldene Kette mit Anhänger gefunden. Diese Kette muss der Täter hinterlassen haben. Sie war gerissen. Der Anhänger hat die Form eines Herzens, dem allerdings unten die Spitze fehlt. Lange wussten wir nicht, was es damit auf sich haben könnte. Haben Sie jetzt eine Vorstellung, warum wir auf Sie als möglichen Täter gekommen sind?«
Die Verblüffung stand Kellermann ins Gesicht geschrieben. »Ich beginne zu verstehen. Allerdings ziehen Sie, wie ich glaube, falsche Schlüsse.«
Schultz hielt seine Augen fest auf Kellermann gerichtet. »Ich helfe Ihnen gerne noch ein bisschen weiter auf die Sprünge. Als wir gestern im Hause von Herrn Krawinckel durchsuchten, waren die Eheleute nicht zu Hause. Deshalb habe ich Sie gebeten, das Beschlagnahmeprotokoll zu unterzeichnen. Das haben Sie getan. Mit Vorund Zunamen. Mit Vornamen heißen Sie Mike. Den Buchstaben M haben Sie wie ein Herz gemalt, das nach unten nicht geschlossen ist. Als ich mir vor wenigen Stunden das Foto des Goldanhängers vor Augen hielt, stellte ich die Übereinstimmung mit Ihrer Unterschrift bei dem ersten Buchstaben Ihres Vornamens fest.«
Kellermann hatte während der Ausführungen von Schultz die ganze Zeit genickt. Jetzt faltete er die Hände und legte sie in seinen Schoß. »Mir wird nun klar, warum Sie mich im Verdacht haben. Aber Ihre Annahme ist falsch. Das müssen Sie mir glauben. Ich kann das auch beweisen. Damit tue ich mich schwer, weil ich eine andere Person kompromittieren müsste.«
Rechtsanwalt Flach spitzte die Lippen und hielt den Kopf schräg. »Ich habe meinem Mandanten empfohlen, vorbehaltlos auszusagen. Immerhin geht es um seinen Hals. In einer solchen Situation kann man keine Rücksichten mehr üben.«
Schultz wehrte ab. »Das scheint mir zu dramatisch formuliert. Es gibt keine Todesstrafe mehr. In der Tendenz dürften Sie dennoch richtig liegen, Herr Flach. Herr Kellermann hätte im Falle seiner Überführung mit einer langjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen.«
Diener ermunterte Kellermann fortzufahren. »Sie sollten sich dem Vorschlag Ihres Anwalts anschließen. Ritterlichkeit ist in diesem Fall nicht angesagt.«
Kellermann atmete tief ein. »Meine Arbeitgeberin, Frau Krawinckel, und ich sind befreundet. Wie soll ich mich ausdrücken? Wir pflegen eine Beziehung, die sogar ein wenig über das
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