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Das juengste Gericht

Das juengste Gericht

Titel: Das juengste Gericht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Udo Scheu
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fand er nichts. Er verfluchte sich, dass er in der Gaststätte nicht etwas Ordentliches gegessen hatte, zum Beispiel eine knusprige Haxe mit Kraut.
    Nach all den Ehejahren war ihm klar, dass seine Frau Karin kein Essen zubereitet hatte, das auf ihn wartete. Es war überflüssig, überhaupt nach ihr zu rufen. Er wusste, wo sie sich aufhielt und was sie tat. Dennoch trieb ihn eine unbekannte Kraft, sich ein weiteres Mal Gewissheit zu verschaffen. Zielstrebig suchte er ihr Schlafzimmer auf. Da lag sie vor laufendem Fernseher, den Spiegel in der Hand. Auf dem Nachtschrank türmten sich Dutzende von Naschtüten.
    Angewidert drehte Beuchert ab. Er hatte keine Lust, Blickkontakt aufzunehmen oder sie gar anzusprechen. Was sollte er mit Karin bereden? Das Geschäftliche interessierte sie nur insoweit, als ausreichend Geld zur Verfügung stand. Er hätte sich schon vor vielen Jahren scheiden lassen sollen. Dann wäre alles nicht so weit gekommen. Irgendwie hatte er vergessen, sich von Karin zu trennen. Und irgendwann war es zu spät, machte es keinen Sinn mehr. Unvorstellbar, dass er sie einmal sexuell anziehend gefunden hatte. Hübsch war sie gewesen, hatte eine gute Figur gehabt. Das war lange vorbei.
    Anschließend suchte er das Zimmer von Sunita auf. Er genoss die so angenehm typische Umgebung für ein junges Mädchen. Aber leer, so schrecklich leer. Ein paar Poster, ein paar nichtige Bilder, ein paar unverkörperte Erinnerungen. Bilder? Wo waren überhaupt die Malereien geblieben, die sonst auf Sunitas Schreibtisch gelegen hatten? Wer hatte sie entfernt? Und warum? Ihm wurde unbehaglich bei diesem Gedanken. Das musste er klären. Aber nicht jetzt. Er fühlte sich zu stark angetrunken, um noch Hintergründe analysieren zu können. Dafür würde er Zeit brauchen, viel Zeit.
    Seufzend drehte sich Beuchert wieder um und verließ das Zimmer. Sie würde nie mehr wiederkommen. Nie mehr würde ihr zartes hübsches Gesicht ihm aus diesem Zimmer entgegenblicken. Wie grausam das Leben doch sein konnte. Ihre Zeit war um gewesen. Nicht schön, aber nicht zu ändern. Das waren die Gesetze des menschlichen Zusammenlebens. Ihre Zeit war um!
    Viel wichtiger war, wie es mit ihm weitergehen würde. Wie viel Zeit würde ihm noch bleiben? Was kam danach? Gab es eine Instanz, die ihn richten würde? Hoffentlich lagen die großen Weltreligionen falsch, nach deren Grundlehren die Qualität nachirdischen Lebens von der Einhaltung moralischer Mindestanforderungen abhing. Sonst hätte er nichts zu lachen.
    Aus dem Kühlschrank holte er sich eine Flasche Bier, öffnete sie, setzte die Flasche an den Mund und trank sie in einem Zug zur Hälfte aus. Dann hängte er seine nasse Anzugjacke an den Griff eines Einbauschranks und setzte sich auf einen ledergepolsterten Hocker. Mit der freien Hand wischte er sich durch die Haare und über das Gesicht. Alles nass. Er wusste nicht, inwieweit es Regen oder Schweiß war. Das war ihm gleichgültig.
    Sunita war tot. Daran war nicht mehr zu rütteln. Eine Chance, etwas wiedergutzumachen, gab es nicht mehr. Wenn es sie je gegeben hätte. Das hatte er bis zuletzt immer gehofft. Auf der anderen Seite wusste er nicht einmal mit letzter Sicherheit, ob er etwas zu bereuen hatte. Schließlich war es Sunita zeitlebens gut gegangen. Stets hatte sie alles bekommen, was sie wollte. Schließlich war er es doch gewesen, der sie aus den ärmlichen Verhältnissen in Indien herausgeholt und ihr ein Leben in Luxus geboten hatte. Und doch war sie nicht glücklich gewesen. Der ewig traurige, vorwurfsvolle Blick stand ihm vor Augen. Nie hatte sie die Räume mit ihrem Kinderlachen gefüllt. Aber sie hatte sich auch nie gegen irgendetwas gewehrt. Sie hatte alles ohne Vorwurf ertragen. Warum war sie nicht vertrauensvoll an ihn herangetreten, wenn es hierzu einen Anlass gegeben hatte. Da sie hiervon Abstand genommen hatte, musste sie wohl mit ihren Lebensverhältnissen zufrieden gewesen sein. Warum rebellierte nur sein Gewissen so stark? Alle Erklärungen, die er sich selbst gab, überzeugten nur im Ansatz. Log er sich etwas vor?
    Er setzte die Flasche Bier an und trank sie aus. In diesem Augenblick betrat seine Frau Karin die Küche und starrte ihn an.
    »Was machst du denn hier? Ich habe dich gar nicht kommen gehört. Wieso hast du dich denn nicht gemeldet? Und warum säufst du schon wieder?«
    »Deine letzte Frage beantworte ich dir besonders gern. Weil du wie üblich nichts zu essen vorbereitet hast und ich außer flüssiger Nahrung

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