Das juengste Gericht
ist die denn?«
»Hanspeter, ich bitte dich. Wie kommt man wohl zu einer Halbschwester? Sein Vater hat ein zweites Mal geheiratet. Aus dieser Ehe entstammt sie. Deshalb ist sie auch erheblich jünger als Krawinckel.«
Während Traudel ihr Essen ebenfalls beendete und Schultz lobend zunickte, tupfte der sich die Mundwinkel mit der Serviette ab und legte sie anschließend auf seinen Teller. Er stand auf, goss Wein nach und drückte Traudel mit dem anderen Arm an sich. »Wie lautet nun die Geschichte um die Halbschwester?«
Traudel hatte kurz den Kopf gegen seinen Arm gedrückt und sah zu ihm auf. »Die riecht nach einem kleinen Geheimnis. Bis vor ein paar Jahren soll Krawinckel sein Schwesterlein immer öffentlich vorgestellt haben. Auch bei den Einladungen soll sie gelegentlich dabei gewesen sein. Er sah sich nicht dadurch gehindert, dass sie geistig zurückgeblieben ist. Allerdings weiß ich nicht genau, ob sie schon immer geistesschwach war. Offenbar war sie jedenfalls in der Lage, Tischmanieren einzuhalten. Von irgendeiner Zeit an hielt er sie plötzlich versteckt. Die Gründe hierfür kennt niemand. Krawinckel hat mit keinem Menschen darüber gesprochen. Zumindest, soweit mir dies bekannt ist. Vielleicht ist die Krankheit erst von da an aufgetreten, als er sie nicht mehr an den Geselligkeiten teilnehmen ließ. Von den Gästen hat wohl niemand gewagt, das Thema anzusprechen. In irgendeiner Form sind alle von ihm abhängig oder fürchten, ihn irgendwann einmal brauchen zu müssen. Deshalb sind keine Fragen gestellt worden.«
»Seltsam«, sagte Schultz. »Darauf kann ich mir keinen Reim machen. Ich habe trotzdem noch eine Frage. Kennst du einen gewissen Beuchert? Wolfgang Beuchert?«
Eine ganze Weile starrte ihn Traudel an, als habe sie die Frage nicht gehört oder nicht verstanden. Sie legte den Zeigefinger an die Lippen und runzelte die Stirn. »Warte. Da war mal irgendetwas. Ich komme nicht darauf. Warum fragst du nach Beuchert?«
»Weil es eine Verbindung zwischen ihm und Krawinckel geben oder jedenfalls gegeben haben muss. Beuchert wurde einmal verhaftet. Die Einzelheiten tun jetzt nichts zur Sache. Krawinckel soll ihn freigekauft haben. Dafür muss es Gründe geben. Die würden mich interessieren.«
Traudel zögerte einen Augenblick mit einer Erwiderung. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich etwas verwechsele. Wenn ich mich recht entsinne, soll Beuchert früher regelmäßig zu den Gästen Krawinckels gehört haben. Dann wurde er plötzlich nicht mehr gesehen. Warum, weiß ich nicht.«
»Könntest du dich unauffällig umhören?«
Traudel schüttelte den Kopf. »Das wird kaum möglich sein. Solche Gespräche mit Dauergästen von Krawinckel über dritte Personen entwickeln sich in meinem Umfeld immer zufällig. Wenn ich die Sprache auf Beuchert brächte, würde das auffallen. Ich würde nach meinem Interesse gefragt. Ich behalte es im Auge, kann dir jedoch nicht viel Hoffnung machen.«
Schultz nickte. »Ich muss mir einfach die Vorstrafakten von Beuchert mal genauer ansehen. Vielleicht finde ich darin einen Anknüpfungspunkt für weitere Ermittlungen.«
»Jetzt hast du mich neugierig gemacht. Was ist das für ein Fall, in dem Krawinckel eine Rolle spielt.«
»Genaues wissen wir noch nicht. Bei dem jungen Mädchen, das gestern zu Tode gestürzt ist, handelt es sich um die Adoptivtochter von Beuchert.«
Traudels Gesichtsausdruck wurde hart. »Lass uns aufräumen.«
14. Kapitel
»Ziehen Sie bitte die Türen hinter sich zu«, sagte Phillip Krawinckel zu Kellermann. »Meine Frau und ich haben etwas zu besprechen. Sorgen Sie dafür, dass wir ungestört bleiben. Wir bedienen uns selbst. Einen kleinen Gefallen können Sie mir noch tun. Lassen Sie bitte den Wagen vor den Aufgang fahren. Den Chauffeur benötige ich nicht.«
»Welches Fahrzeug möchten Sie nehmen? Den Bentley?«
»Nein. Auch nicht den Maybach. Die sind zu protzig für heute. Etwas Einfaches. Am besten den kleinen Mercedes.«
Phillip Krawinckel drehte sich um, griff nach der Kaffeekanne auf dem Sideboard und nahm in einem der gepolsterten Weidenkorbsessel direkt gegenüber seiner Frau Ellen Platz. »Was darf ich dir vorlegen, Liebling? Hattest du eine angenehme Nacht? Du siehst ziemlich übermüdet aus.«
Sie zog den seidenen Morgenmantel vor ihrer Brust zusammen, rieb sich die geröteten Augen und deutete auf das Brot. »Sei so nett und streiche mir ein Butterbrot mit der Orangenmarmelade. Und ein bisschen Kaffee, das ist alles. Ich bin noch
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