Das kastilische Erbe: Roman (German Edition)
ansprach, erhielt man kaum ein Lächeln.
»Wir haben es bald geschafft«, versuchte Jimena sie zu trösten. »Wir bleiben sicher ein paar Tage in Toledo, sodass wir uns alle ausruhen können.«
Teresa blickte auf und machte eine wegwerfende Handbewegung.
Was zählt der Schmerz des Einzelnen, wenn es um das große Ganze geht, das zu erreichen wir geschworen haben?
Jimena hörte in ihrem Kopf die Stimme, die sie so lange nicht mehr vernommen hatte.
»Liegt Isabel mit ihrer Hoffnung richtig?«, drängte sie. »Weißt du, wie unser Empfang in Toledo ausfallen wird?«
Doch Teresa lächelte nur geheimnisvoll, und Jimena blieb die Hoffnung, dass dies etwas Gutes bedeutete. Sie selbst war in diesen Tagen nur von Nebel umfangen. Es gelang ihr nicht, einen klaren Blick zu erhaschen, und das, fürchtete sie, würde sie noch in den Wahnsinn treiben.
Jimena hätte sich keine Sorgen machen müssen. Der Empfang, den Toledo seiner Königin bereitete, machte ihren Besuch zu einem Triumphzug. Begeisterte Menschen säumten die Straßen und jubelten Isabel und Fernando zu, als sie die Stadt mit ihrem Gefolge durch die Puerta del Sol betraten. Staunend betrachtete Jimena das Haupttor, das mit seinen arabischen Bogen und seinem kunstvollen Mudéjarbaustil Leichtigkeit und militärische Stärke auf wundervolle Weise vereinte. Gleich dahinter erhob sich eine alte Moschee mit herrlich leichten Säulen und Bogen. Ja, man sah es der Stadt an, dass sie lange eine wichtige Stellung in den wechselnden maurischen Reichen eingenommen hatte, ehe hier die christlichen Könige und ihre Bischöfe wieder Einzug hielten.
Jimena ahnte, dass Isabel ihren Weg absichtlich vorbei an der Kathedrale und am verwaisten Palast des Erzbischofs wählte und nicht der direkten Straße folgte, die in einem Bogen bis zum Alcázar anstieg, der – wie in Segovia, allerdings nicht ganz so spektakulär – am höchsten Punkt der Stadt auf der Ostseite errichtet worden war. Von dort fiel der Hang hinter der Stadtmauer steil bis zum Río Tajo ab, der Toledo in einem tief eingeschnittenen Tal von drei Seiten in einer Schleife umfloss.
Erschöpft, aber zufrieden erreichten sie den Palast, wo ob der unerwarteten Ankunft des Königspaars helle Aufregung herrschte. Und so dauerte es Stunden, ehe die Gemächer gerichtet waren, Badewasser erhitzt und ein Mahl aufgetragen war, das einem Königspaar würdig sein mochte.
Sie waren nun schon eine Woche in Toledo, und Jimena rechnete jeden Tag mit ihrer Abreise, auch wenn sie dies lieber nicht zu Beatriz sagte. Die Aussicht darauf, bald weiterziehen zu müssen, hätte deren Laune erheblich getrübt. Jimena gefiel die Stadt, auch wenn sie zu ihrer Enttäuschung Ramón nicht finden konnte. Vermutlich weilte er beim Bischof in Alcalá, und sie wusste nicht, ob sie sich wünschen sollte, dass Carrillo mit seinen Leuten hier eintraf, während Isabel in der Stadt weilte. Vielleicht war es besser, die Gemüter würden sich vor ihrer nächsten Begegnung erst ein wenig abkühlen, denn die Königin hielt mit ihrem Zorn nicht hinterm Berg und drohte, ihm nicht nur seine Stadt wegzunehmen. Aber lag das überhaupt in ihrer Macht? Konnte sie einen Primas von Kastilien und Erzbischof von Toledo absetzen? Es war Sache der Kirche, ihn zu benennen, und damit lag es sicher auch in deren Ermessen, einen Kirchenmann wieder abzusetzen. Sie benötigte also einen guten Fürsprecher beim Papst. Vielleicht den Legaten Rodrigo Borgia, der sich schon für den Kardinalshut Mendozas hatte einspannen lassen und sich im Geheimen beim Papst um einen echten Ehedispens für Isabel und Fernando bemühte.
So in Gedanken betrat Jimena die Kapelle des Alcázar. Sie hatte nicht damit gerechnet, jemanden vorzufinden, und war daher überrascht, Isabel mit einem ihr unbekannten Geistlichen zu sehen. Jimena wollte eine Entschuldigung murmeln, erkannte dann aber, dass weder Isabel noch der Geistliche ihr Eindringen bemerkt hatte. Sie wollte sich leise wieder zurückziehen, blieb dann aber in der halb offenen Tür stehen und beobachtete die Szene mit wachsendem Erstaunen.
Sie wusste nicht, ob Isabel nach dem Geistlichen gerufen oder ob er um eine Audienz gebeten hatte, doch ganz gleich, es gab bei Hof im Umgang mit dem Monarchen bestimmte Regeln, die man zu kennen und zu befolgen hatte. Doch davon schien der fremde Kirchenmann nichts zu wissen oder ignorierte sie absichtlich! Isabel saß auf dem etwas erhöhten Platz ihres verstorbenen Bruders und sah dem Besucher
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